Es ist heiß hier und in der Luft liegt ein salziger Geruch. Es ist, als könnte ich das Meer riechen, immer dann, wenn ein lauer Luftzug durch die Jardines del Turia bläst. Ich höre die weit entfernten Klänge des kleinen Jahrmarktes im Jardines del Turia, die Gitarrenriffs aus dem Norden der Gärten, wo gerade eine Band auftritt. Ich höre das leise Murmeln des Pärchen auf der Parkbank gegenüber, das rhythmische Atmen der jungen Valencianos, die nur wenige Meter von mir entfernt mit gebastelten Schwertern, Speeren und Schildern Kampfübungen vollführen. Ich höre die Kindern jammern, die ihre Eltern gerade versuchen zu überreden noch eine weitere Runde mit dem kleinen Autodrom fahren zu dürfen. Ich spüre die feuchte Erde unter mir, höre das Zirpen der Zykaden, das Zwitschern der Vögel, das Rattern der Räder, die am Weg hinter mir vorbeifahren, die Motoren der Autos hinter mir in dieser Stadt. Ich höre den Herzschlag Valencias. Ich schließe meine Augen und lehne mich an den Baumstamm. Ich kann es nicht glauben, dass ich erst 2 Tage hier bin. Ich bin verliebt.
Langsam schiebe ich mein ausgeborgtes Rad durch die Jardines del Turia, wo einst der Rio Turia floss. Das einstmals breite Flussbett ist heute eine 9 Kilometer lange Garten- und Freizeitanlage. Hier kann man entspannen und einfach „sein“. Dieses einfache „sein“ ist eine Spezialität von Valencia, denke ich mir, als ich mich umschaue und überall entspannte Valencianos sitzen und schlendern sehen. In keiner anderen Stadt habe ich dieses „leben und leben lassen“ so sehr gespürt wie hier. Valencia ist ein „du für dich“ aber auch ein „du und ich“. Valencia ist ein „wir“. Und ab heute bin auch ich dieses wir.
Ich fahre mit meinem Rad an der Cuidad des las Artes y la Ciencias vorbei. Wo vorher alles grün war, glänzen jetzt weiße, futuristische Bauten und lange Wasserbecken. Wie Raumschiffe, die hier gelandet sind, fügt sich die Stadt der Künste und der Wissenschaft in das Stadtbild Valencias ein. In der valencianischen Mittagssonne glänzen und schimmern die Keramikscherben-Mosaike auf der Fassade und die blauen Wasserbecken besonders hell. Ich kneife meine Augen zusammen und fahre weiter, wieder zurück in die Stadt.
Meine Füße sind müde. Aber ich lasse es mir nicht nehmen diese wunderschöne Stadt von oben zu sehen. Hoch oben am Miguelete, einem 51 Meter hohen Kirchturm mit 207 Treppen, blickt man über die Dächer Valencias.
Die verschachtelten Gassen, gelbe, orange Häuser mit roten Ziegeldächern. Großen und kleinen Kirchen mit ihren Türmen, blaue Kuppeln die in der Sonne leuchten, die drei weiter entfernten Stadttore aus hellem Sandstein, in der Ferne der Hafen, mit seinen bunten Container, und am Horizont das glänzende Meer. Ich schaue hinunter auf die Plaza de la Virgin, mit dem Brunnen in der Mitte, an dem müde Touristen lehnen, auf die Bars rund um den Platz, in denen man das „Aqua de Valencia“ schlürft und auf die jungen Valencianos, die mit ihren BMX Rädern Stunts springen. Ich sehe die geschäftige Plaza de la Reina mit den Tapas Bars und Restaurants, die in wenigen Stunden (ab 21 Uhr) gut besucht sein werden. Überall sehe ich Menschen schlendern. Nein, Flanieren. Das ist der valencianische Gang. Das valencianische Tempo. Es ist als würde die Zeit hier länger dauern. Alles hat mehr – die Stunde mehr Minuten, die Menschen mehr Zeit, das Leben mehr Gelassenheit. (Man könnte meinen man hat hier auch mehr Geld, wenn man die Tapaspreise anschaut! 😉 ) Selbst in den späten Nachtstunden, nach dem das ein oder andere Aqua de Valencia in einer der hippen Bars im Barrio del Carmen getrunken wurde, und die Straßen von den Laternen orange leuchten, hat man hier keinen Stress nach Hause zu kommen. Keiner schaut auf die Uhr, denkt an morgen. Hier genießt man das leichte Leben, das Essen von Tapas um 22 Uhr (nur ja keine Paella – für die bösen Kohlenhydrate am Abend ernten wir fragende Gesichter 😉 ), das Trinken von süßem Sangria, die rhythmische Musik in den Clubs, die Zeit und die Gesellschaft. Valencia ist genießen. Ja, Valencia ist ein Genuss.
Die Nächte sind lang in Valencia (weil die Bars und Clubs gut sind!). Ich bin müde und mein Magen knurrt, als ich mich im Bett ausstrecke. Ich brauche Essen. Bei der Frühstückssuche im Mercado Central, in der großen Markthalle von Valencia, vergesse ich meinen Hunger dann aber fast wieder: Es gibt so viel zu sehen, so viel zu probieren. Durch die Deckenfenster fällt buntes Licht auf die Stände, an denen es valencianische Köstlichkeiten zu kaufen gibt. Ein ganzes Bein vom Iberico Schwein baumelt von der Decke des Standes, hinter dem ein dickbäuchiger, grauhaariger Spanier in einer weißen Schürze steht. Ein junger Spanier schneidet nebenan dünne Scheiben von der Haxe, während er mit einer alten Damen plaudert, die sich auf ihr Rollwägchen neben sich stützt. Zwei Stände weiter beim Obststand kauft eine Frau Tomaten, die so groß wie Babyköpfe sind und lila Paprika. Ich passe mein Tempo dem Marktleben an und kaufe mir eine Horchata, eine Erdmandelmilch. Langsam schlürfend schlendere ich durch die Halle dem intensiven Fischgeruch nach: An dem Marktstand vor mir wenden sich kleine Aale in einem seichten Becken. Während ich einen Schluck von meinem flüssigen Frühstück nehme, fängt der Mann hinter dem Stand einen Aal aus dem Wasser, klemmt seinen Kopf zwischen Daumen und Zeigefinger und schneidet seinen Kopf an. Es ist 10 Uhr morgens und ich beschließe die Mandelmilch lieber doch außerhalb der Fischzone zu genießen.
Der letzte Tag ist da. Ein letztes Mal Valencia genieße, denke ich mir nach 3 Tagen in dieser tollen Stadt. Es gibt nichts was meine Liebe noch größer machen könnte, denke ich mir. Doch dann kommt Malvarossa. Der Wind weht und die Luft riecht nach Meer. Der Strand ist voll mit Menschen. Weiße Liegen mit blau-weiß gestreiften Auflagen, die man mieten kann. Bunte Sonnenschirme. Sonnenschirme aus Stroh. Ein hellblauer Himmel und der goldgelbe Sand, in den sich meine Zehen graben. Hier ist die Stadt noch bunter. Hier ist die Stadt noch lebendiger und gleichzeitig noch entspannter. Ein Widerspruch, den ich selbst nicht ganz verstehe. Aber ich fühle ihn.
Wien ist meine Stadt – mit dieser alten Schönheit führe ich eine langjährige, sehr innige Beziehung. Ich liebe sie, aber es gibt auch immer wieder schwere Phasen zwischen uns. Manchmal – sogar ziemlich oft – brauchen wir Abstand voneinander um uns wieder schätzen zu können. Und doch weiß ich, während ich so auf meiner Liege in der Sonne Valencias liege, dass ich sie gefunden habe : Meine geheime Liebhaberin. Für die Zeit wenn es mir mit meiner Stadt mal nicht so gut geht, wenn mir Wien das Leben schwer macht. Genau dann werde ich wieder in ihre Arme flüchten, in denen ich mich immer leicht und lebendig gefühlt habe. In die Stadt, die mich fürsorglich aufgenommen und gewärmt hat, die mich entspannt hat, die mein Herz gestohlen hat. In die Stadt, in die ich mich heimlich verliebt habe. Valencia.
(Psssst Leser, Wien muss nichts davon erfahren. Das bleibt unter uns, ok? 🙂 )
Sinnvolle Tipps & Links folgen bald.
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