Ich sitze hier und schaue über die Stadt, während sich der Himmel schon in sein leichtes rosa Nachtgewand legt. Hier über mir ist er noch hellblau, während er am Horizont, dort wo die Hochhäuser enden schon einen Hauch Rosa hat. Breite Betonbänder ziehen sich durch die Stadt, darauf blinkende und hupende Autos, die sich wie Ameisen hintereinander reihen. Wilkommen in Peking, denke ich mir.
Verschlafen blicke ich auf die Straßen unter mir: Auf der vierspurigen Einbahnstraße herrscht viel Verkehr. Bunte Kolonen rasen in eine Richtung – bis auf ein kleines, weißes Mopedauto. Dieses schlängelt sich gegen den Strom durch die entgegenkommenden Autos. Es wird gehupt und ausgewichen. Vier Polizisten, die am Wegrand stehen, würdigen den kleinen Revoluzzer keines Blickes. Dafür ist ihre Tätigkeit zu wichtig: 5 Abschleppwagen verladen auf der ersten Spur parkende Autos. Während die drei Kollegen im Kreis stehen, steht ein weiterer auf der zweiten Spur und wedelt einem sechsten Abschleppwagen zu, der gerade beginnt rückwärst die vierspurige Straße zurückzuschieben. Überholen am Pannenstreifen? Kein Problem. Parken am Gehsteig. Wieso nicht. Bei rot über die Ampel? Geht. Regeln sind hier in Peking schließlich da um gebrochen zu werden.
Nachdem ich mein Schreib- und Ausschauplätzchen – die Fensterbank des 23. Stocks in der Wohnung meiner lieben Freundin – verlassen habe, mache ich es wie ungefähr jeder in Peking, der nicht im Auto sitzt: Ich steige aufs Rad. Auch hier gilt: Die Regel ist, es gibt keine Regeln. Zumindest keine, an die man sich halten müßte. Also fahre ich gleich mal gegen die Einbahn. Und mit mir 20 Chinesen auf ihren Drahteseln und Elektromotorrädern. Auf eigenen Fahrradspuren rollt es sich gut durch die Stadt – hinweg über zehn-spurige Kreuzungen, in der Poleposition mit 15 anderen Radfahrern starte ich los Richtung Lamakloster, „der berühmteste buddhistische Tempel“ der eigentlich kein Tempel ist. Neben mir blinkende Reklametafeln, rot, gelb und orange leuchtende Zeichen, die die neusten Restaurants anpreisen, laute chinesische Popmusik, die aus den Läden der „Geisterstraße“ dringt. Alles ist laut, grell und schreiend. Und plötzlich steht man im Lamakloster, umgeben vom Duft der Räucherstäbchen, die als Opfergabe dienen, von Gelbmützen-Mönchen und wunderschön verzierten Tempelanlagen. Auch das ist Peking, denke ich mir, während ich mich auf den Steinboden setze und den Duft der Ruhe hier einatme.
Eine Gasse weiter schiebe ich mein Rad durch ein anderes Peking. Die Gassen sind hier eng, überall sitzen Leute vor ihren grauen Betonhäusern, Kinder toben durch die Straßen oder werden von ihren Omas geschultert. Auf Wäscheleinen hängen Handtücher mit Comicfiguren neben Ikea Bettwäsche. Die Hutongs haben es mir angetan. Hier leben und atmen Geist und Seele der Stadt. Andächtig schiebe ich mein Rad durch die verwinkelten Labrinthe, die engen Gassen. Ich werfe verstohlene Blicke in die Hinterhöfe der grauen Häuser: manche sind neu renoviert und beherbergen moderne, stylische Cafés. Andere wiederum sind so alt wie sie wirken. Ich bleibe stehen und sehe einen goldenen Vogelkäfig im Hinterhof hängen. Ein gelber Vogel zwitschert leise vor sich hin. Wenn jetzt hier auch noch ein roter Lampion hängt, wäre das einfach zu kitschig. Ich drehe mich um und sehe im Augenwinkel den roten Ball vor dem Haus hängen.
Meine Füße werden müde vom Treten. Ich schiebe mein Rad in die kleine Seitengasse im Botschaftsviertel von Peking und erblicke das kleine Café, welches mir im Reiseführer in die Augen gesprungen ist. „Bookworm“. Schon allein der Anblick der Stufen zum Café lässt mein Bücherliebhaber-Herz höher schlagen: Hier liegen Jane Austen, Tolkien, Kafka, Orwell und Co. Mein „stairway to heaven“, lache ich in mich hinein. Obwohl meine Beine müde sind erklimmen sie den „Bücherberg“. Als ich die Türe öffne muss ich grinsen, wie immer wenn ich Bücher sehe: Jede Wand des Raumes ist voll mit ihnen, an den freien Wandplätzchen hängen Fotos von Schriftstellern. Ich bestelle mir einen grünen Tee, krame mein Schreibzeug heraus und verfalle augenblicklich in den Schreibwahn. Schon nach 5 Minuten bekomme ich keinen der lesenden, schreibenden oder am Laptop tippenden Gäste mehr mit. Ich habe die schönste Gesellschaft – die der Bücher. Der Bücherwurm ist in seinem Element.
Livia und Lennart führen aus: Peking Ente. Über einen chinesischen Chat wird ein Tisch im Lieblingsrestaurant reserviert, auf dem wir dann pünktlich um 20 Uhr sitzen. Die beiden Gastgeber blättern durch die bebilderte Speisekarte und ordern – natürlich auf chinesisch – eine kleine Auswahl an Speisen: Lotusstängel mit Chili, Okraschoten mit Rindfleisch, Hühnerfleisch mit Erdnüssen, Dim Sum mit Rind und natürlich Peking Ente. Die wird übrigens nicht so gegessen wie man bei uns Ente isst: Livia zeigt es vor und nimmt eine Art dünne Palatschinke, macht einen Klecks Pflaumensauce darauf und vervollständigt den Wrap mit Ananas, Gurke, ein bisschen Salat, ein bisschen Entenfleisch und natürlich der geschmackvollen Haut der knackigen Ente. Am Nebentisch wird genüsslich geschmatzt und auch auf unserem Tisch leeren sich die Teller. Abserviert wird nicht, denn die Vielzahl der Teller zeigt den Reichtum der Esser. Ich blicke mich um und sehe in den kleinen Separeés, die die Chinesen lieben und die ausgestattet sind wie kleine Wohn- und Esszimmer, Tische voller Gläser, leerer und voller Teller und eine ziemliche Anzahl an Weinflaschen. Mahlzeit!
Ich bin wieder an meinen Schreibplatz zurückgekehrt. Draußen ist es bereits dunkel, nur die Reklametafeln, ein paar Autos und die beleuchteten Fenster der Hochhäuser gegenüber sind zu sehen. Die Stadt wirkt fast so als würde sie jetzt auch zu Bett gehen. Ich bin sicher sie tut es nicht. Aber ich. Gute Nacht, Peking.
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