Die Mojitos von „Mojitoman ist back“ schwirren mir noch im Kopf herum, als der Wecker läutet. Es war eine lange und laute Nacht in Pekings Straßen und Bars. Und nicht nur der Mojito hat uns geschmeckt. Ich öffne die Vorhänge und schaue auf das Straßengewirr unter mir. Noch immer hüllt sich die Stadt in grauen Smog. Plötzlich klopft es an der Zimmertür. Ein blonder Freundinnenkopf schaut herein: „Lust auf ein bisschen wandern?“
Auf der Autobahn fahren wir fahren mit 140 statt der erlaubten 120 km/h. Verschlafen schaue ich aus dem Fenster und sehe die Autos an uns vorbeirasen. Noch immer ist die Luft smoggig, woran aber nicht die Autos und ihre Fahrer schuld sind, sondern die, in und um Peking liegende, Industrie und der fehlende Wind, der die Abgase über die Berge hinwegträgt. Die autofreien Tage ändern daran nur wenig. Lennart bremst und ich werde in den Sitz gedrückt. Abrupt wechseln wir die Spur. Neben mir sehe ich eine Matratze vorbeiziehen. Sie liegt allein und verlassen auf der Autobahn. Ab und zu wird sie von einem chinesischen Taxifahrer angehupt. Nach zwei Stunden Autofahrt und ohne weitere Matratzen-ausweich-manöver erreichen wir das kleine Dörfchen Gubeiko.
Nachdem uns eine Bewohnerin des Dorfes 25 Yuan für eine 20 Yuan Eintrittskarte abschwatzen wollte und Livia, dank ihrer Sprachkünste, den normalen Preis erhandelt hat, steigen wir über ein paar Stufen und stehen plötzlich auf einem der 7. neuen Weltwundern. Der chinesischen Mauer. Ich lasse meinen Blick schweifen. Ein dichtes Grün liegt auf den aufgeschobenen Erdfalten vor mit. Nur ein gelbbraunes Band zieht sich, an den Kämmen der Hügel entlang. Wie ein Drache windet sich die Mauer vor mir über die grüne Hügellandschaft. Eckige Türme reihen sich wie kleine Knoten in die Mauerlinie ein. Ich schaue auf den unebenen Boden vor mir, sehe die alten Ziegel, wie sich kleine lila Blümchen ihren Weg aus dem Ziegelzwischenräumen bahnen. Gänsehaut läuft über meinen Körper. Ich will meine Füße nicht vom Boden der Mauer heben, so sehr fasziniert mich dieser Gedanke, durch ihn mit über tausend Jahren Geschichte verbunden zu sein.
Wir marschieren los. Es geht steil bergab. Die Stufen, die hinabführen sind nur eine Handfläche breit und 5 Ziegelreihen hoch. Ich konzentriere mich, um die Balance zu halten. Fast vergesse ich dabei, dass ich gerade auf einem der 7 neuen Weltwunder wandere. Als ich die letzte Stufe erreicht habe, bin ich außer Puste. Ich schnaufe und blicke nach vorne. Eine graue Wand aus Steinen baut sich vor mir auf. Dahinter der nächste Wachturm. Langsam setze ich einen Fuß vor den anderen. Noch langsamer kommt der Turm näher. Über den Nebel- und Dunstwolken scheint die Sonne. Ich spüre wie ein Schweißtropfen über meinen Nacken rinnt. Im „Hua Lo“, dem Blumen Turm, finden wir Schatten – und einen fliegenden Händler, der uns mit den Worten „Cola, Water, Shirt“ begrüßt. „Bui, xiexie!“, sagen wir und er freut sich über die chinesisch Kenntnisse – oder über Gesellschaft, auf diesem doch recht verlassenen Mauerabschnitt. Seine Haut ist vergilbt wie altes Leder. Er lächelt uns, die „weißen Menschen“ an, und fragt woher wir denn kommen. „Audili“, antworten wir am Mauerrand sitzend dem „gelben Menschen“, wie sich die Chinesen selbst nennen.
Nach einer Stunde wird der Mauerweg rauer. Große Mauerteile liegen im Weg. Der Boden ist unebener, noch steiniger. Die Stufen werden noch schmäler, noch höher. Ich schaue mich um und entdecke auf einigen der Ziegel alte chinesische Schriftzeichen. Wir sind beim nicht restaurierten Abschnitt der chinesischen Mauer angekommen. Hier ist alles so wie es damals war. Vor mir sehe ich einen kleinen Mauerteil, der wir eine Treppe nach oben geht. Langsam setzte ich einen vor den anderen Fuß und klettere nach oben. Neben mir geht es steil bergab. Meine Knie zittern. Ich setze mich auf die Steine und blicke in die Ferne. Während sich hinter mir der breite Steifen über die Berge schlängelt, sehe ich die Mauer vor mir bis an den Horizont laufen. Ein nicht enden wollendes Band Geschichte, welches sich durch dieses grüne Land zieht. Ich schließe meine Augen und versuche dieses Bild in mir abzuspeichern. Meine Hände berühren die rauen Steine. Ich lausche, als würde ich hören wollen, welche Geschichten sie mir zu erzählen haben. Geschichten, über die vielen Jahre, die sie bereits hier liegen, wer auf ihnen gegangen ist und was sie alles gesehen haben. Der Wind bläst über mich und die Mauer hinweg. Fast klingt es so als würde sie mit mir sprechen. Aber wie fast alle Chinesen hier, spricht auch sie leider kein Englisch. 😉
Die Nacht wollen wir in Simatai verbringen. Schon am Vorabend haben wir uns dazu ein Zimmer gebucht. Doch als wir bei der Adresse ankommen, werden wir von einem dickbäuchigen Chinesen ins sein Wohnzimmer gebeten. Am Sofa turnt seine kleine Tochter, während der Fernseher läuft. Nach ein paar Telefonaten und der Info, dass keine Zimmer mehr frei sind, winkt er uns mitzukommen. Wir folgen und sind gespannt auf was wir uns da wohl einlassen. Ein paar Gassen weiter führt uns der Mann in ein mehrstöckiges Wohnhaus, vorbei an offenen Türen, die uns Einblicke ins chinesische Wohnen gewähren. In der einen wird gekocht. Eine alte Frau sitzt am mit Plastik überzogenen Sofa, zwei Nachbarn tratschen am Gang. Im letzten Stock steckt er den Schlüssel in eine rote Tür, hinter der sich eine saubere und mit dem nötigsten ausgestattete Privatwohnung verbirgt. Eine kleine Küche, ein Sofa, ein Bad und zwei Zimmer mit Betten, bei denen man nicht von gemütlich weich sprechen darf. Ich lache bei dem Gedanken, dass wir das Campen auf der Mauer verworfen haben, weil wir Angst hatten, dass durch mangelnde Ausrüstung der Boden zu hart sein könnte. Dennoch zahlen wir die 750 Yuan an unseren „Vermieter“ und sinken erschöpft aufs Sofa.
Die Straßen von Simatai sind voll mit Menschen. Vor jedem Haus sind überdachte Terrassen mit mehreren Rundtischen, auf denen die Bewohner der Stadt mit der Familie oder Freunden essen. Eine Speisekarte gibt es nur wenn man Glück hat. Auch wir setzen uns auf eine der Terrassen. Am Nebentisch wird lauthals miteinander geplaudert, während die Hausherrin mit einem Fischernetz auf uns zu spaziert. „Ni hao“, ruft sie uns zu. Der unterarmlange Fisch springt unterdessen aus dem Netz und schlägt auf dem Betonboden auf. Zwei Minuten später landet er neben unseren Lammgrillspießen und den gegrillten chinesischen Brot auf dem Griller, der vor der Terrasse steht und vom Hausherrn bedient wird. Während wir essen, wird am Nebentisch weiter gefeiert: Ein Mann, der sein schwarzes T-Shirt über seinen runden Bauch geschoben hat, prostet seinem Freund, der ebenfalls der Freiheit seiner Wampe fröhnt, zu. Der Pappbecher ist bis oben hin voll mit Schnaps. Die beiden mittlerweile rotköpfigen Herren leeren den Becher mit einem Schluck. „Gan bei!“ (Heißt übrigens „Prost!“ Oder auch „Ex!“)
Auch am nächsten Morgen sitzen wir in einer der Straßenküchen Simatais, bevor es zur nächsten Mauerwanderung geht. Auf einem aufgebauten Herd, unter einem kleinen Zelt, blubbert eine gelbliche Suppe mit einer Getreideeinlage. Das typische, runde und fast ganz weiße Brot liegt für die hungrigen Nachbarn bereit. Und auch eine Schüssel Eier, in Sojasauce eingekochtes Gemüse und ein frittierter Brandteig. Als wir uns auf die kleinen Hocker setzen, ist das Outdoor Frühstücks-Lokal bereits gut besucht. Am Tisch hinter uns sitzt eine Familie mit zwei Kindern. Während die Kinder auf und ab laufen, füllt die Mutter die weißen Brötchen mit einem Ei und dem Gemüse. Auf salziges Gemüse kann ich morgens gut verzichten und daher schiebe ich mir einen Löffel von der gelblichen Suppe in den Mund. Er schmeckt nach nicht viel. Doch mit ein bisschen Zucker sicher genießbar, sage ich mir, und merke dennoch wie ich mich das erste mal hier doch schon ein bisschen auf mein liebgewonnenes Morgenritual mit Müsli und Wochenende-Eierspeis freue.
Gerry says
Isch eifach gewaltig guet gschribe bi dir
qeecee says
Danke, Gerry! Es freut mich, dass du virtuell mitreist 🙂