Ich denke an die Bilder, die ich von China kenne und die Google mir bei meiner ersten Recherche ausgespuckt hat. Goldgelbe Felder, Reisterrassen soweit das Auge reicht, alte Dörfer aus Holz, die sich in die hügelige Karstlandschaft einschmiegen. Werbebilder, denen man nicht glauben darf, habe ich mir damals gedacht und ungläubig meinen Laptop zugeklappt. Und heute stehe ich hier – auf den Reisterrassen von Longji, im Postkartenbild jeder Chinareise.
Chinesen haben keine Ambitionen zu wandern oder zu gehen, dass weiß ich schon seit der Chinesischen Mauer. Das Motto jedes chinesischen Touristen: Raufgehen, Selfie machen, runtergehen. Mit kurzen Röckchen und Highheels lassziv an die Mauer gelehnt und in Richtung Selfiestick blickend – man will ja schließlich gut aussehen, auf dem Foto, dass man dann seinen 7000 Freunden übers chinesische Facebook schickt. Hier in Longji spart man sich aber sogar das „hinaufgehen“ und nimmt die Gondelbahn, die sich mit gefühlten 3 km/h über die Reisterrassen schleppt. Als der Driver mir das Ticket in die Hand drückt, bin ich froh, dass ich nur Fahrt nach oben gezahlt habe. Denn ich weiß: die Tausenden Chinesen, die sich auf den Hügel karen lassen, werden aus der Gondel aussteigen, zuerst ein Foto machen und dann zu einem der unnötigen Souvenirläden laufen, bevor sie wieder mit der Gondel bergab fahren. Als ich oben aussteige weiß ich, dass manche nicht mal das machen: Ein alter Herr mit Hut lässt sich vor dem Werbeschild der Reisterrassen fotographieren um dann wieder zurück zur Gondelbahn zu gehen. Zwei Schritte weiter überblickt man ein Meisterwerk der Landwirtschaft. Aber wer braucht das schon wenn man ein perfektes Werbeschild haben kann, denke ich mir und laufe an den chinesischen Touristen vorbei.
Dort wo kaum mehr Chinesen sind, führt ein schmaler Weg mit Steinstufen zu den Reisfelder hinab. Ich marschiere los. Nach 5 Minuten bleibe ich stehe. Ich lasse meinen Blick schweifen: Vor mir liegen in Stufen die unterschiedlichsten Grün- und Gelbtöne. Am Berg gegenüber sehe ich einen Farbverlauf, den Photoshop nicht besser hätte machen können. Ich stapfe ins Feld, genau an der Linie entlang die zwei Terrassen voneinander dreht. Ein warmer Windstoß fährt durch die Felder. Ich drehe mich einmal im Kreis und sehe wie Bewegung in das goldene Meer kommt. Es ist als würden gelbe Wellen auf mich zu rollen. Und sogar das Rauschen der goldenen Wellen klingt dem des Meeres sehr ähnlich.
Auf dem Weg nach unten kreuze ich ein Yao Dorf, dass sich in die Reisterrassen eingebettet hat. Die Yao waren Flüchtlinge aus der Provinz Shandong, die früher hierher flohen und ihre Sitten und Bräuche mitnahmen. Vor einem Holzhaus, welches auf Stelzen in den Hügel hineingebaut ist und vor dem rote Lampions hängen, sitzt eine alte Frau in einem farbenfrohen, gemusterten Gewand. Ihre glänzenden, schwarzen Haare hat sie über dem Kopf zu einem Turban gedreht, der vorne einen Knoten macht, der wie ein Drachenkopf aussieht. Die Frau sitzt auf einem Holzschemmel, vor ihr ein geflochtener Korb voll mit Souvenirartikel. Müde schaut sie mich an. „Ni hao“, sage ich und lächle ihr zu. Sie lächelt zurück und winkt. Mit unserem Fahrer haben wir bereits auf der Anreise in einem Yao Dorf halt gemacht. Bei einer absolut touristischen Show wurde uns und den chinesischen Touristen gezeigt, welche Sitten und Bräuche es beim Yao Stamm gibt. Wir haben Öltee – frittierte Teeblätter, die aufgebrüht und mit Puffreis und Erdnüssen angereichert wird – und Reisschnaps getrunken, zhutong fan (Klebenreis in Bambus) und klebrigen Reiskuchen gegessen und den Frauen beim Turban binden zugesehen. Viel spannender aber waren die Chinesinnen und Chinesen, die in allen Varianten Selfies und Fotos von den Langhaar-Frauen – und von mir schoßen. Eine blonde Frau und eine Yao Frau auf einem Bild. Wieviele Likes das wohl im chinesischen Facebook bekommt? Ich winke in die Kamera.
Wieder zurück in Guilin sitze ich in einem Café am Rong See. Auf der anderen Seeseite sehe ich eine Gruppe Frauen, die sich gleichmäßig bewegen und bunte Bändern durch die Luft wirbeln. Nur wenige Meter weiter hat ein Hobbyorchester in einem Pavillion im See Platz genommen. Die schiefen Töne, der, in ein rotes Tüllkleid gehüllten, der Sängerin mischen sich mit der leisen chinesischen Musik aus dem Café. Ein altes Pärchen spaziert an mir vorbei: Während er gerade aus geht, hat sich seine bereits gebückt gehende Frau bei ihm eingehackt und spaziert die Straße rückwärts entlang. Ich mache es ihnen nach und „entspanne“ mich – nur lautloser und ohne Unfallrisiko: Ich nehme einen Schluck von meinem Gin Tonic. Gan Bei!
Im Nachtmarkt von Guilin gibt es alles was das Herz der Südchinesen begehrt, merke ich, als ich durch die schmalen Gassen an den Garküchen vorbeispaziere, um mir meinen hungrigen Bauch vollzuschlagen. Der Reiseführer in meiner Hand meint, dass Guangxi eine der wenigen Regionen ist, in der mit Vorliebe Hunde verspeist werden. Aber nicht nur das, sondern auch andere ungewohnte Tierchen. Ich mache Halt vor einer der vielen Garküchen. In roten Pottichen wimmelt es von Fischen, Krebsen, Muscheln, so groß wie meine Hände und den in Guilin typischen Schnecken. Daneben lugt ein Hühnerkopf auf einem robusten Gitterkäfig. Mein Blick fällt auf einen breiteren Käfig, der direkt daneben steht: Eine riesige Bambusratte sitz darin und kabbert an den Drahtgittern. Als das pummelige Riesentier panisch im Käfig auf und ab läuft, wird mein, wenn es ums Essen geht sonst so wenig tierliebes Herz schwer. Ich werde abgelenkt: Neben der Riesenratte beginnt es zu quaken. In einem abgedeckten Pottich sitzen Frösche, die weitere hungrige Gäste sättigen sollen. Ich gehe weiter. Bei jedem Stand locken mich neue Gerüche an: Das Ölig-scharfe der frittierten Süßkartoffelbällchen, die der mundschutztragende Chinese mit Koriander, Petersilie und Chili verfeinert. Der süße Duft der Mango, die aufgeschnitten auf dem Schubkaren des Verkäufers liegt. Oder der salzig-meerige Geruch der gefüllten Muscheln, die am Grill liegen. Ich krame nach meinen Yuan Scheinen, schiebe sie griffbereit in meine Hosentasche und lasse mich durch den Markt treiben. So geht Abendessen in Guilin.
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