Ich bin in Yangshuo, einer Stadt nahe von Guilin, die bekannt ist für die hohen Berge, die sie umgeben, und den Li River. Es hat 33 Grad als ich mein Hotel verlasse und auf den geschäftigen Straßen von Yangshuo entlangspaziere. In der Ferne sehe ich sie schon, die berühmte Karstlandschaft. Ein Kletterparadies, sagt mir mein Reiseführer. Zum Kletter aber bin ich nicht hier. Ich biege in die Fulong Road ein und dort erwartet mich… Schnee.
Als ich in den kleinen Laden komme, stellt sie sich bei mir vor: „Snow“ ist ihr Name und sie wird mein Mountainbike Guide für einen Tag im chinesischen Hinterland. Ursprünglich kommt „Snow“, deren rundes Gesicht doch etwas anders als „typisch chinesisch“ aussieht, aus der Inneren Mongolei, erzählt sie in fast akzentfreiem Englisch. Genauso wie „Diamond“, der mir bei Starbucks in Peking einen Café Latte verkauft hat oder „Sunny“, die im Bekleidungsgeschäft nebenan arbeitet, heißt Snow eigentlich nicht Snow. Ihren chinesischen Namen könnten wir „lǎowài“ (Ausländer) aber nicht aussprechen, daher nennen sich die meisten, in neueren, westlichen Unternehmen arbeitenden Chinesen, um. Und so lerne ich in Yangshuo bei 33 Grad und Sonnenschein Schnee in China kennen.
Snow schiebt eine blaue Karte über den Tisch und zeigt mir die Strecke, die sie für mich heute geplant hat: Raus aus Yangshuo, durch die chinesischen Dörfer im Hinterland. Ihr Finger zeichnet eine Linie über das Blatt. Quer durch ein paar Reisfelder bis zu einem kleinen Wasserreservoir an den Yulong River und dann den Fluß entlang zurück. „Ready?“ Sie schaut mich mit einem fragenden Blick an. Ich setzte mir meinen Fahrradhelm auf, klopfe mir auf die Schenkel und grinse sie an. „Ready!“
Schon nach 5 Minuten wird das Hupen hinter mir leiser. Die asphaltierte Straße endet und Snow leitet mich über einen kleinen Schotterweg entlang in ein kleines Dorf. Ein alter, gebückt gehender Mann kommt mir entgegen. „Ni hao“, säuselt er durch die Zahnlücken und seine Falten schieben sich zu einem Grinsen zusammen. Eine noch ältere Frau sitzt auf den Stufen vor ihrem Haus. Auf ihrem Schoß turnt ein kleiner Junge. Über der Türe hinter ihr hängen die roten Segensprüche, die zum chinesischen Neujahr an die Türen geklebt werden. Die Holztüre steht weit offen. Ich werde einen verstohlenen Blick in das Wohnzimmer: Es ist fast leer, zwei Sessel stehen an der weißen Wand. An ihr Bild. Eine alte, fast zusammenfallende Kommode. Darauf: ein riesiger, moderner Flatscreen.
Wir verlassen das Dorf und damit die befestigten Straßen. Ein Huhn springt mir vor das Rad und gackert mich wild an. Ich bremse und muss an die chinesischen Taxifahrer denken, die oft ähnlich klingen wie das empörte Huhn. Starr steht es auf der Straße und blickt mich an. Ich steige vom Rad und nutze die Hühnerwanderung um mich genauer umzusehen: Die Reispflanzen am Feld neben mir lassen ihre Köpfchen hängen und biegen sich bereits zum Boden. Am anderen Feld wird gerade geerntet: Zwei Männer schieben, die zu Bündeln gebundenen, Reispflanzen in eine Maschine. Die gekopften Stängel stellen sie dann zu kleinen Türmen auf, die sie auf den Feldern verteilen um es dann getrocknet als Brennmaterial zu verwenden. Zwei Meter vor mir hält eine Kuh am Straßenrand ihren Mittagsschlaf, während die Bauern schuften. Ich schaue auf den Weg vor mir: Das Huhn hat die andere Straßenseite erreicht und verschwindet gackernd im dichten Reisfeld. Das nennt sich Verkehr im Hinterland von China.
Mit dem Rad geht es weiter. Wir verlassen die Reisfelder und fahren plätzlich durch einen Hain voller Kumquats Bäume. Ein handflächen großer blau-schwarzer Schmetterling fliegt vor mir als würde er mir den Weg zeigen. Immer in Sichweite: die spitzen Berge, Monolithe die aus der Erde ragen und sich in der Ferne aneinanderreihen. Einer davon hat es sogar auf die 20 Yuan Banknote geschafft. Das erfahre ich aber erst, als ich am nächsten Tag mit gefühlten 1000 Chinesen 5 Stunden auf einem Boot festsitze und mich wundere, als plötzlich alle in ihren Taschen zu kramen beginnen, um dann mit zitternden Selfie Sticks, aus Angst das 3 km/h schnelle Ausflugsboot könnte plötzlich zum Speedboot mutieren, Fotos von sich, dem Berg und der Banknote machen. (Dort lerne ich übrigens auch, dass Chinesen 5 Stunden Bootfahren, und dafür rund 33 Euro ausgeben, um: eine Stunde lauthals zu schreien, eine Stunde zu schlafen, zwei Stunden zu Essen – und dabei gleichzeitig lauthals schreien als auch schmatzen. Die letzte Stunde verbringen sie damit Selfies von sich zu machen.)
Snow lotst mich weiter. „Everything ok?“ fragt sie mich als wir einen kurzen Stopp bei einer alten Brücke am Yulong River machen. Es muss der debile Grinser sein, denn ich seit wir auf die Räder gestiegen sind, durch dieses wunderschöne Hinterland chauffiere. Fast ist es mir peinlich und ich sage zu ihr, was ich die letzten 3 Stunden gefühlt 1000 mal gedacht habe: „Yes, it’s just amazing.“ Wir cruisen mit unseren Bikes weiter: Den Fluss entlang, auf dem Bambusboote ein paar wenige chinesische Touristen herumschippern oder im Schatten unter einem bunten Sonnenschirm ein Schläfchen halten. Vorbei an Männern, die mit Tauscherbrillen im Wasser des Flusses tümpeln um auf traditionelle Weise mit einem Speer ein paar Fische zu fangen, obwohl es die Regierung verboten hat. Oder aber an einem Brautpaar, dass in einem eigens angelegten Wedding Photo Park ein paar kitischige Bilder in einem Plastik-Heißluftball schießt und sich anschließend drei Meter weiter vor einer niederländischen Windmühle anschmachtet, die wunderschöne Karstlandschaft und den still neben ihnen vorbei fließenden Yulong River keines Blickes würdigend. Nach 6 Stunden Radtour durch das chinesische Hinterland schieben wir unsere Räder wieder in den kleinen Shop an der Fulong Road. Der debile Grinser sitzt noch immer.
Nicht ohne Restauranttipp von Snow verlasse ich den kleinen Radladen. Im Red Dragon soll es traditionelles Essen geben, unter anderem die mit Schweinfleisch und Schneckenfleisch gefüllten Schnecken. Der Bierfisch den es in jedem Restaurant hier gibt, erzählt Snow, ist irgendwann einmal aufgekommen. „But it’s not really traditional!“ Traditionell ist aber noch immer die Art wie viele Fischer hier zu ihrem Fang kommen. Und auch das will ich mir anschauen. Um 20 Uhr marschiere ich einen dunklen Steg am Yulong River entlang. Es ist stockdunkel nur ein kleines Bambusboot ist beleuchtet. Ein alter Mann steht auf dem Boot, einen Stock in der Hand, mit dem er das Boot in die richtige Richtung schiebt. Der Motor tuckert vor sich hin als plötzlich neben dem Boot ein schwarzer Vogelkopf aus dem Wasser schießt. In seinem Maul zapfelt ein im Lampenschein silberglitzernder Fisch. Der schwarze Vogel reißt den Mund auf, lässt den Fisch in den Rachen gleiten und taucht, genauso schnell wie er aus dem Wasser geschossen ist, wieder unter. Daneben taucht ein zweiter Vogel aus dem Wasser. Sein Hals ist breiter als der des gerade wieder untergetauchten. Der Fischer schiebt seinen Bambusstab unter den schwimmenden Helfer, der neben seinem Bambusfloss den Schnabel aufreißt. Routiniert hebt er das Tier aus dem Wasser, packt ihn am Hals, klappt seinen Schnabel auf und hält ihn kopfüber über einen Korb, der vor ihm auf dem Bambusboot steht. Im grellen Licht der Lampe sehe ich wie plötzlich vier Fische aus dem Maul des Vogels rutschen und im Flechtkorb landen. Von 11 Uhr abends bis 4 Uhr früh erwirtschaftet ein Fischer und seine Helferlein so bis zu 10 Kilo frischen Fisch, der dann auf den Markt und schließlich auf den Tellern der Touristen landet. Mahlzeit.
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