Gerade eben hat mich das unterirdische Tunnelsystem der Metro bei der Central Station in Hongkong ausgespuckt – gemeinsam mit einer Masse anderer Menschen. Wie Speichel rinnt der Menschenfluss aus den, sich unter Hongkong windenden, Tunneln der U-Bahn. In alle Richtungen schieben sich die Menschen auf die Straßen: Der Europäer im Armani Anzug mit Aktentasche, der hektisch in sein Handy redet. Die aufgestylte Chinesin, in ihren Louboutin Schuhen und der Pradatasche. Die blonde Europäerin, in ihrem Yogaoutfit und mit Organic Lemon Ice Tea Becher in der Hand. Der Hipster Chinese in karierter Hose und dunkler Sonnenbrille. Sie alle strömen an mir vorbei, während ich, wie angewurzelt, in ihrer Mitte stehe. Von unten ist dieses Bilder der Menschenmengen beeindruckend. Wie gern aber würde ich in diesem Moment abheben um das Gewusel auf Hongkongs Straßen von oben zu sehen.
Die Lust nach oben stille ich mit einer Fahrt auf den Victoria Peak. Ich bin nur zwei Tage hier und will so viel wie möglich mitnehmen von diesem letzten Reisestopp. Mit der alten Standseilbahn fahre ich also auf einen der „Hausberge“ von Hongkong. Als ich in den Holzsessel gedrückt werde, wundere ich mich: Ich wusste gar nicht, dass Hongkong so hügelig ist. Oben angekommen habe ich von der Skyterrace aus einen perfekten Überblick über die Stadt: Die Menschen, die sich noch vor kurzem durch die Straßen geschoben haben sind den Wolkenkratzer gewichen, die sich nun ähnlich dicht aneinander drängen. Der große, glänzende IFC Tower – der zweithöchste der Stadt. Daneben der HSBC Tower mit seiner perfekten Feng Shui Ausrichtung. Oder der auf der anderen Insel liegende Commerce Tower, der mit 484 Metern der siebthöchste Wolkenkratzer der Welt ist und der höchste Hongkongs. Ein schwarzer Ohrstöpsel in meinem Ohr erzählt mir, dass das die beiden Bronzelöwen beim Neubau des HSBC Towers von zwei Kränen gleichzeitig angehoben wurden um sicherzustellen, dass keiner der beiden zuerst den Boden berührt, um die Geister nicht zur erzürnen, weil man einen beschützenden Löwen, dem anderen vorzieht. Ich muss schmunzeln. Eine Stadt die Wolkenkratzer baut und mit Hightech voranschreitet, diese aber an alte Traditionen knüpft. Eine neue Stadt mit alter Seele.
Diese spürt man auch wenn man auf der Star Ferry sitzt. Eine alte Fähre tuckert an den Pier, an dem ich sitze und ich fühle mich als hätte man die Zeit zurückgedreht. (Stellt euch diese Szene ab jetzt am besten schwarz-weiß vor, denn so fühlt sie sich an!) Aus den zwei Rauchfängen steigt grauer Rauch in die Luft und weht in die überdachte Wartehalle, in der ich sitze. Um mich herum ein paar Menschen. Die rot-weißen Rettungsreifen, an den grünen Wänden des Bootes, schlagen an den Pier, als ich an Bord gehe und auf einer der alten Holzbänke Platz nehme. Es pfeift und langsam beginnt die „Morning Star“ sich zu bewegen. Graue Rauchschwaden schnaufend schippert die alte Fähre von der Halbinsel Kowloon in Richtung Hongkong Island. Am Central Pier steige ich aus – und plötzlich ist alles wieder farbig. Willkommen zurück im modernen Hongkong – mit Hochhäusern, Shopping Malls und Hipster Bars in Soho.
Es dämmert und ich die Stadt füllt sich nicht nur mit bunten Lichtern sondern auch mit Menschen. Aus den unzähligen Hochäusern strömen sie heraus auf die Straßen Hongkongs, wo es bald wusselt wie auf einem Ameisenhügel. Kein Wunder, erzählt mir Danny, der mich heute durch das nächtliche Hongkong führt. Eine durchschnittliche Wohnung in dieser 7,3 Millionen-Stadt ist 40 Quadratmeter groß und hat durchschnittlich 3 Bewohner. In Hongkong lagert man das Leben auf die Straße aus.
Mit Danny wandere ich heute durch diese. Unser Abendprogramm: Essen – und zwar alles und viel. Meine kurze Short sitzt durch das gute Essen der letzten Wochen bereits enger. Macht nichts, denke ich mir, du bist nur einmal in China (wer weiß?!) und bestelle, wie von Danny fast befohlen, an einem Straßenstand die in schwarzem Tee gekochten Eier und scharfe Fischbällchen. Stopp I: Streetfood! Eine scharfe Angelegenheit, schnaufe ich und der steirische Engländer neben mir pflichtet mir bei.
Gerade recht kommt uns da der nächste Stopp. Stopp II: Tee! An einem kleinen Laden bleiben wir stehen. „Here,“ sagt Danny und deutet auf vier Getränkespender, „tgis is traditionel tea!“ Tee! Klingt gut, denke ich mir und freue mich auf die Erfrischung für die brennende Kehle. Ich reiche dem Verkäufer die 6 Hongkong Dollar. „Very healthy“, hängt Danny plötzlich dran. Ich ahne bereits schlimmes. Langsam sippe ich an der Flasche. Der erste Schluck schmeckt bitter und ich verziehe das Gesicht. Mehr Medizin als Erfrischung. Als Danny auf den dritten Behälter zeigt, der mit einem orangefarbenen Saft gefüllt ist, sagt er: „This is drinkable for Europeans.“ Er lacht und erzählt, dass in China alles, unabhängig von der Temperatur der Dinge, nach „heiß“ und „kalt“ gegliedert wird – Menschen, Farben, auch Nahrungsmittel. Hat man ein heißes Gemüt, sollte man dieses durch kalte Nahrungsmittel ausgleichen. Ying und Yang. Ich denke an meinen alten Chinamann in Wien und die wärmenden Kräutermischungen, die er mir immer zusammenmixt. „Is this cold or warm?“, frage ich Danny und halte ihm meine Teeflasche hin. „Warm!“, zwinkert er mir mit einnem Blick auf die fast leere Flasche zu. „Guess you needed this!“
Stopp III: Straßenmarkt! Supermärkte gibt es hier wenige. Viel lieber kaufen die Hongkonger auf Straßenmärkten, sogenannten „Wet Markets“ ein, erzählt Danny. Ich schaue mich auf der Straße um: Ein Straßenladen reiht sich an den nächsten. Unter bunten Sonnenschirmen und in Holzkisten reihen sich die farbenfrohsten Früchte- und Gemüsesorten aneinander: Ein roter Apfel, der eine Birnenform hat und aussieht als wäre er aus Wachs, die stachelig stinkende Durianfrucht oder die Rambutan, die ich bereits aus Thailand kenne. Während ich den den Wachsapfel beiße, der nach einer Mischung aus Gurke und Apfel schmeckt, frage ich Danny ob es auch „Dry Markets“ gibt. „Sure, we dry everthing.“ Vom Obst hin zum Fleisch bis zum Fisch. „Fisch lasse ich weg. Ich bin Buddhist!“ sagt Danny und streicht sich durch die langen Haare. Immer wen ihm die abendlichen 36 Grad zu heiß werden, schiebt er sein blaues Poloshirt mit den rosa Flamingos über die Hüfte und stemmt seine Hand lasziv über den Beckenknochen. Mit seinen langen Fingernägel klopft der junge Mann, wie eine ungeduldige Frau, auf seinen Hüftknochen. (K)Ein Buddhist wie er im Buche steht?
Übrigens, erzählt Danny, dass die Regierung diese Straßenmärkte loswerden will. An die Ladenbesitzer wurden daher nur Lizenzen vergeben die nur einmal in der Familie weitergegeben werden dürfen. Der alte Mann, der gerade seine Orangen vor mir sortiert oder die Frau mittleren Alters, die gerade die Waren für eine, auf den Gehstock gelehnte, Alte abwiegt – sie alle sind die letzten Exemplare, bevor dieser traditionelle Markt verschwindet und riesen Supermarktketten weicht, bei denen man in Plastik abgepacktes Obst aus Australien kaufen kann. Ich denke mir die vielen Stände, die bunten Schirme, die unterschiedlichen Gerüche und das laute Verhandeln weg und sehe eine traurige, leere Straße vor mir. Ein Stück Kultur die so schnell verschwinden wird, wie die Hitze der Nacht, durch den ganz plötzlich beginnenden Regen.
Stopp IV: Bakery. Bäckerein sind etwas, dass die Briten nach Hongkong gebracht haben, sagt Danny und zeigt auf die Bäckerei, die in einem länglichen Straßenladen eingebaut ist. Eigentlich sind es nur von innen befüllbare und von außen aufklappbare Laden, die mit den unterschiedlichsten Backwaren gefüllt sind. Gut, Bäckerein haben wir in Österreich ja auch, aber als ich in die Egg Tarte beiße bin ich trotzdem entzückt. (Gut, ok, das passiert immer wenns um Nachspeisen geht!) Die Puddingähnliche Füllung schmeckt süß und ich sehe mich schon im Kopf in meiner Küche stehen und Egg Tartes backen.
Stopp V: Nudeln! Mit Nudeln kenne ich mich mittlerweile schon aus, denke ich, als Danny uns in ein enges Restaurant führt. „Best noodles in town“, schwärmt er und wirft die Haare nach hinten. Der weiß geflieste Raum ist voll. An jedem Tisch drängen sich alte und junge Chinesen, die schmatzend an Knochen herumkauen und Nudeln aus einer klaren Suppe schlürfen. Vom Nachbartisch spritzt Suppe in meine Richtung, so genüsslich zieht der Chinese neben mir, die Nudeln in den hungrigen Mund. Als mir ein Kellner hektisch die Suppe mit den Nudeln und den Wantan darin auf den Tisch knallt, erkenne ich: Nudeln sind nicht gleich Nudeln. In meiner Suppe schwimmen nicht wie im Norden China breite, glitschige Reisnudeln sondern dünne Eiernudeln, dazu köstliche Wantan mit Shrimps und Rindfleisch gefüllt. Ich schlürfe und bin sicher, dass auch der Nachbartisch mitbekommt wie gut es mir schmeckt.
Stopp VI: BBQ! Ich fühle mich als könnte ich gleich durch Hongkong rollen. Ich bin voll aber etwas Wichtiges fehlt noch, meint Danny. BBQ kennen wir von Zuhause, nicken die Foodtouris. Und als der Kellner den Roasted Pork Belly bringt und ich den ersten Bissen in den Mund schiebe, denke ich an meine Mutter und den besten Schweinsbraten der Welt. (Sorry an alle anderen Mütter dieser Welt 😉 ) Besser schmeckt er auch hier in Hongkong nicht. Und auch das BBQ Pork ist gut. Aber mit gutem Fleisch kennen wir uns Österreicher halt doch aus. Mein Mama-verwöhnter Gaumen zumindest!
StoppVII: Dessert! Das Kerstin-Herz schlägt bereits höher. Jetzt kommt meine Disziplin, denke ich mir, und quetsche mich förmlich in den überfüllten Laden in Kowloon. „We love desserts! We as well have own restaurants for it!“, lockt Danny. Ob ich vielleicht doch chinesische Wurzeln habe, frage ich mich, und nehme mir vor meine Eltern spaßhalber einmal zu befragen. (Die Liebe zur Hitze, zur lateinamerikanischen Musik, zur spanischen Sprache und das andauernde Fernweh, … Es wird verdächtig.) Als Danny die Speisekarte erblickt, verfällt er ins Schwärmen. Sein Englisch wird schlampiger, sodass ich am Ende kaum mehr weiß was ich bestellt habe. Als ich aber dann den ersten Löffel der Suppe, in der 5 Reisbällchenschwimmen, nehme, setzt auch mein Sprachvermögen aus, als mich Danny fragt: „What think?“ Ich murmle etwas wie „wooowamaziiiinguffffwonderfantastichmmmmh“. In meinem Mund geht gerade ein Geschmacksfeuerwerk in die Luft: der scharfe Ingwer der heißen Suppe, das weiche, glitschige Reisbällchen mit der cremig, süßen Sesamfüllung. Ich habe keine Zeit für meine restlichen Sinne. Andächtig schließe ich die Augen und genieße. Mein Löffel kratzt am Schlüsselboden. Ich überlege blitzartig wann ich wieder nach Hongkong komme. Allein dieses Dessert ist 13 Stunden Flug wert.
Nichts geht mehr, denke ich mir als wir das Dessertrestaurant verlassen. Ich bin gefühlte 5 Kilo schwerer und mein Bauch wölbt sich als wäre ich im 5 Monat schwanger. Danny baut sich vor mir auf und strahlt. „And now. It’s your last day. Party?“ Ich denke an meinen Flug morgen, als er meint: „There’s a rooftop bar over there!“ Mehr brauchte er nicht sagen. Fünf Minuten später sitze ich mit meinem Lychee Mojito auf dem Dach eines Hochhauses. Wie so vieles gibt es Rooftop Bars auch zuhause, aber nicht mit dieser Aussicht. Ich nehme einen Schluck von meinem Mojito und blicke über die leuchtenden Häuserschluchten. Auf dich, Hongkong.
Liebe Kerstin
Wiederum einen Teil deiner Reise miterlebt. Vielen Dank für das farbige schildern deiner Erlebnisse.
Ich freu mich auf die nächsten Berichte. Und den Schweinsbraten deiner Mama
Bis…
Liebe Kerstin! Es macht riesengroße Freude dein Reisetagebuch zu lesen!