Wer bei Belgrad an „Ostblock“, Krieg und Slivovitz denkt, irrt. Denn Belgrad hat so viel mehr zu bieten. Wirf jedes Vorurteil weg und komm mit mir auf einen Spaziergang durch diese so vielfältige Stadt.
Ich verlasse den kleinen Flughafen und warme Luft schlägt mir entgegen. Es ist heiß in Belgrad. Schon auf dem Weg zum Bus, der mich in die Stadt bringen soll, beginne ich zu schwitzen. Ich krame in meiner Tasche nach den serbischen Dinar und steige in den Bus. Ein braungebrannter Mann mit grauen Haaren hängt im Fahrersitz und bläst mir Zigarettenrauch entgegen. „Is this the…“, beginne ich. Er unterbricht mich mit einem serbischen Gemurmel und winkt mich in den Bus. Ich verstehe nichts, aber das scheint ihm egal zu sein. Ich glaube er meint, ich soll mich hinsetzen. Ich tue wie geheißen. Die serbischen Dinar bleiben vorerst in meiner Tasche. Zumindest bis er seine Zigarette fertig geraucht hat.
Viel später wird mir auffallen, dass auch auf jedem Tisch im Restaurant ein Aschenbecher zu finden ist – und findet man ihn nicht, ist der Kellner wahrscheinlich schon mit einem im Anmarsch 😉
Ich habe ein Air BnB in Savamala gemietet – 5 Minuten entfernt vom Busbahnhof. Nach den wenigen Gehminuten stehe ich in einer kleinen Gasse vor einem Haus. Die Fassade bröckelt. Ein Abrisshaus. Eine Bruchbude. Ob hier Leute wohnen? Mir wird flau im Magen. Ich klingle und die Türe geht auf. Milos grinst mich an und führt mich in das Apartment im ersten Stock: ein moderne Küchenzeile, Klimaanlage, stylische Fliesen, ein Ledersofa, ein riesen Flatscreen. Ich ermahne mich und denke mir: Never judge from the outside.
Ich habe Hunger und beschließe etwas Essbares zu finden. Mein Spaziergang treibt mich durch Savamala. Es soll der „coole Teil“ der Stadt sein. In der Braće Krsmanović nahe der Branko Brücke, reiht sich ein Graffiti an das Nächste. Dazwischen findet man Bars, Clubs und versteckte „Straßenkunstinstallationen“. Noch ist alles ruhig in dieser Straße. Zwei Stunden später wird der Beat aus den Clubs die Straße und die Menschen darin zum Beben bringen.
An der Save entlang gehe ich zum kulinarischen Hotspot der Stadt, wie mir ein serbischer Freund geschrieben hat: die Beton Hala! In der alten Halle befinden sich jetzt viele hippe Lokale. Als ich bei Frida einkehre, brennt der Himmel über der Save.
Am nächsten Morgen treffe ich Tamara von der Belgrad Free Tour beim „Pferd“. Dem berühmtesten Pferd, wie sie mir erzählt. Der Reiter – herzlich egal (kein geringerer als der Mann, der Belgrad von den Osmanen befreit hat). Wenn du dich in Belgrad mit deinen Kumpels zum Biertrinken triffst, zum Essen oder herum flanieren, dann gibt es nur einen Treffpunkt: „Meet me at the horse“. Ich blicke mich um. Um mich herum nur wartende Menschen. Tamara erzählt mir auch, dass das Nationalmuseum seit Jahren geschlossen ist. Im April 2017 hätte es wiedereröffnet werden sollen. Es ist noch immer zu. Das Baugerüst davor ist leer. Kein Bauarbeiter in Sicht. Das neue Datum der Wiederöffnung soll 2018 sein. „Wenn du enttäuscht werden willst, komm 2018 wieder,“ grinst Tamara.
Wir marschieren gemeinsam durch die Straßen und kommen ins „Künstlerviertel“ von Belgrad: Skardalija. Plötzlich glaube ich in einer anderen Stadt zu sein: gepflasterte Gassen, romantische Laternen, kleine Restaurants. Auf den Terrassen stehen runde Tische. Ich höre fast schon die sanfte Musik, die durch diese Gassen schwingt, wenn die Sonne sich senkt. Ich rieche den Rauch, den die früheren Künstler in die Luft geblasen haben, wenn sie an diesen Tischen der „Kafanas“ sitzend ihre Gedichte verfasst haben. Höre das Lachen der Maler die hier gezeichnet haben, um ihre Schnapsschulden zu begleichen. Am Ende der Skadarska steht eine alte Brauerei. Gegründet vom serbisch-österreichischer Brauereibesitzer Georg Weifert. Das Bier hier mehr zählt als Elektrizität zeigt, dass dieser Herr auf der 1000 Dinar Note ist, während der „wahre Nationalheld“ Nikola Tesla nur von der 100 Dinar Note blickt. Hat auch nur den Zweiphasenwechselstrom erfunden 😉
„Mit Tesla kannst du nicht mal ein Bier zahlen, während du mit Bier deine Elektrizität und Bier zahlen kannst.“
Wir gehen weiter Richtung Burg: Die Kalemegdan. Hoch über dem Zusammenfluss der Save und der Donau thront dieses „Schlachtfeld“, wie der übersetzte Name bedeutet. Tamara senkt ihre Stimme als sie über die Kriege spricht, die diese Stadt schon über sich ergehen lassen musste. Die Burg ist ein Relikt der vielen Eroberungen & Kämpfe dieser Stadt: Die weißen Steine der Burg, die der Stadt ihren Namen „Weiße Stadt“ verdankt, haben die Osmanen gebracht. Die grauen Steine sind Überbleibsel der Römer. Die roten der österreich-ungarischen Monarchie.
„Kennt ihr Victor?“, fragt Tamara und deutet in die Luft. Mein Blick schwenkt gegen Himmel und erblickt einen nackten, grauen Mann auf einer hohen Steinsäule. In der einen Hand hält er ein Schwert, zu Boden gesenkt, bereit seine Stadt zu beschützen. In der anderen Hand hält er das Wahrzeichen der Stadt: einen Adler – für die Freiheit. Eigentlich sollte der nackte „Victor“ ja direkt in der Stadt stehen, aber die Belgraderinnen waren davon weniger begeistert. Ein nackter Mann in ihrer Stadt. Dann lieber doch so weit weg, dass man ihn nicht jeden Tag sehen muss. Und am besten auf eine Säule, damit man ja nicht zuviel sieht. Und so steht er nun da, der Victor. Mit seiner freien Stadt im Rücken und dem beschützenden Blick auf Zemun und das Neue Belgrad.
Am Abend im Bett tun mir die Füße weh. Ich schließe die Augen und spiele die heutigen Bilder vor mir ab. Ich sehe den Sava Tempel, der dabei ist zur Sagrada Familia von Belgrad zu werden. Ich sehe den Bajloni Markt und die roten Himbeeren, die die alte Frau am Marktstand verkauft. Ich sehe die rote Boje, die den „Kuss der Save und der Donau“ markiert. Ich sehe die Brücken, die sich über die Save spannen, die Boote, in denen erst in den Morgenstunden die rauschenden Partynächte zu Ende gehen. Die Blumenwände in Skardalija, die Graffitis in Savamala, die Flaniermeile Kneza Mihaila.
Als ich hier ankam, kam ich ohne Erwartungen. Als ich ging, ging ich mit der Hoffnung. Nämlich jener, bald wieder zu kommen.
Belgrad – du hast mich.
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