Kriegsschauplätze. Zerbombte Häuser. Denkmäler. Wenn man durch Belgrad geht, sieht man das Erbe der Kriege, die Serbien gebeutelt haben. Es waren viele. Kriege gegen ehemalige Freunde, gegen neue Feinde. Kriege, die gegen- und miteinander gekämpft wurden.
Stephan, der Guide der Free Walking Tour, spricht leise, wenn er von den Kriegen spricht. Er meint, dass er gern sagen würde, dass alles gut war, was sein Land hervorgebracht hat, dass es aber eine Lüge wäre. Zu viele Idioten habe es gegeben und gibt es noch heute. Zu viel Leid hat man sich zugefügt. Nicht nur die Serben sind schuld, sagt er. Alle haben sie ihren Teil beigetragen. Hinter ihm steht ein zerbombtes Haus, in dem ein serbischer Radiosender untergebracht war, als die Nato das Gebäude bombardierte. 16 Menschen starben. Es hat 36 Grad und mir ist kalt.
Ein paar Gassen weiter, stehe ich wieder vor einem zerbombten Haus. Eine Außenmauer ist vollkommen weggerissen. Das Skelett des Gebäudes offen gelegt. Die riesigen Löcher sind noch immer blutende Wunden. Erst jetzt wird mir richtig bewusst, dass hier der Krieg noch gar nicht lange vorbei ist. 1999, während ich mit meinen Eltern vor dem Fernseher saß, war Stephan mit seinen Eltern im Luftschutzbunker. Wir beiden waren damals 12. Nur, dass er den Krieg, der für mich nur ein paar flimmernde Bilder am Fernseher waren, am eigenen Körper miterlebt hat. Er lebte mit seiner Familie außerhalb von Belgrad, erzählt er. In einem kleinen Dorf. Wenn der Strom ausfiel und die Sirenen zu hören waren, saß er mit seinen Eltern bei Kerzenlicht im Wohnzimmer. Sein Vater spielte mit ihm Brettspiele. Nur ab und zu gingen sie in den Bunker, wo er mit seinen Freunden beisammen sein konnte. Für ihn war es keine schlimme Zeit. Er hatte Glück, sagt er und senkt dabei den Kopf – aus Scham, vor allen, die weniger davon hatten. Jenen wie Milica.
In einem Park stellt Stephan mir Milica vor. Das kleine Mädchen aus Bronze saß in der Badewanne, als die Bombe im Nebenhaus einschlug und ein Splitter ihre Aorta durchtrennte. Der kleine Engel, der jetzt mit Steinflügeln vor mir steht, starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Das Denkmal vor mir ist den vielen kleinen Engeln, die bei den Nato Angriffen ums Leben kamen, gewidmet. Die Nato Mission hatte den Namen „Barmherziger Engel“. Mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken.
Mein Kopf schwirrt, als ich beim Abendessen auf die im Abendlicht glitzernde Save blicke, vor mir die leeren Seiten meines Notizbuches. Statt vieler Worte, sind es heute Bilder, die ich in meinem Kopf habe. Bilder, die wie eine Diashow ablaufen: ein dunkler Luftschutzbunker voller Menschen & Kinder, eine blutrote Badewanne, Gebäude-Skelette, die in den Straßen stehen wie schweigende Mahnmäler. Während diese Bilder in Belgrad entstanden, war meine Jugend geprägt von so vielen schönen Bildern: Ich sehe mich beim Toben mit meinen Freundinnen im Park, beim Plantschen in der Badewanne mit meiner kleinen Schwester. Ich sehe mein altes Kinderzimmer mit den blauen Elefanten und den bunten Luftballonen auf der Tapete. Bilder, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Und doch nur 600 Kilometer voneinander entfernt. Ich klappe mein Notizbuch zu. Der Krieg, das Leid, die Geschichten und auch mein eigenes Glück, von all dem Krieg verschont geblieben zu sein, macht mich heute wortlos. Wortlos traurig.
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