Wir erreichen den Busbahnhof in Shiraz. Es ist 6 Uhr und ich habe nur wenig geschlafen. Mira, die neben mir sitzt, zieht ihre Schlafmaske vom Kopf und grinst mich über ihr Nackenkissen hinweg an. Ich schmunzle über die perfekte Ausrüstung meiner neuen Freundin. Als ich mich zu ihr drehe, knacken meine Knochen wie verdörrte Äste und ich schwöre mir, das nächste Mal auch so ein Nackenkissen zu kaufen. Wir steigen aus dem Bus und mein Handy klingelt. „I’m on my way“, steht auf dem Display. 10 Minuten später biegt Yoones, unser Driver, um die Ecke. „Ready?“, fragt er, nachdem wir unsere Rucksäcke in zwei Autos verstaut haben. „Persepolis is waiting!“
Ein Start mit Panne.
Wir wollten extra früh in der antiken Hauptstadt des alten Perserreichs sein denke ich mir, als wir am Straßenrand stehen. Und jetzt das! Im Rückspiegel sehe ich, wie unser zweiter Fahrer gestresst an der Motorhaube des Autos herumwerkt. Ich ziehe am Strohhalm meiner Honigmilch-Packung, lege meinen Kopf in den Nacken und versuche mich zu entspannen. Im ganzen Auto riecht es nach dem frischen Brot, das wir gerade erst in der Bäckerei gekauft haben. Dass Alex & Isabel plötzlich an unsere Scheibe klopfen, sagt mir, dass all das Werken, warten & entspannen nichts gebracht hat. Zu fünft quetschen wir uns schließlich in Yoones kleines Auto. Doch nach unserem ersten Zwischenstopp ist auch Yoones klar, dass wir die Stunde bis zur alten Perserstadt so nicht durchhalten und er bestellt einen Freund inkl. Auto zur Weiterfahrt. Mit einer guten Stunde Verspätung geht es dann doch irgendwann – ohne Pannen – weiter.
Ein Picknick mit Geschichte.
Ich schaue mich um. Vor mir stehen zwei riesige Tore, auf denen Löwen mit Flügeln prangen. Dahinter ein Gewirr aus Säulen. Wie Zahnstocher ragen sie in unterschiedlichen Größen aus dem Boden oder liegen, wie die Stäbe beim Mikado, auf der gelben Erde. Dazwischen alte Mauerteile mit Einprägungen, Statuen und immer wiederkehrende eingemeißelte Symbole. Die Lotusblüte, die Krieger, die lächelnden Tiere. Alles Bruchstücke einer längst vergangenen Zeit. Doch ich sehe sie noch heute vor mir: Die Diener, die durch die Gänge schleichen. Der kichernde Harem des Xerxes, der sich in seinen Gemächern versteckt. Die Pferdekutschen, die durch die Gassen scheppern. Jakob reißt mich aus meinem Tagtraum: „Frühstück?“ Mein knurrender Bauch nimmt mir die Antwort ab und so schlagen wir vor den Toren der Stadt unser Picknick auf: Das frische Brot, dass wir auf der Herfahrt gekauft haben, ist noch warm. Dazu gibt es Frischkäse. Beim Frühstück sagt kaum einer von uns ein Wort. Viel zu erschlagen sind wir von den vielen alten Steinen um uns. Fast schweigend steigen wir hinauf zu den Tempelgräbern der toten Könige. Yoones dreht sich zu uns um und erzählt uns, dass mit dem Tod des Königs auch seine Frau umgebracht und mit ihm hier bestattet wurde. Alex und Isabel schauen sich an. Während Alex grinst, verdreht Isabel die Augen.
Der Tanz der Farben.
Am nächsten Morgen wälzen wir uns früh aus den Betten um DAS Highlight von Shiraz anzuschauen. Nachdem wir nach der Nachtbusfahrt und den Wanderungen durch Persepolis so müde waren, haben wir uns einen gemütlichen Abend im Hotel gemacht und sitzen schon um 9 im Taxi Richtung Pinke Moschee. Von außen schaut diese Moschee aus wie jede andere, die ich bis jetzt gesehen habe, denke ich mir als ich eintrete. Wunderschöne Mosaike in Rosa gehalten, was den Namen der Moschee erklärt. Ich drehe mich zu Jakob – unsere Blicke sprechen Bände. „Same, Same.“ Ich nicke. Doch genau jetzt, wo ich der Moscheen und ihrer Schönheit überdrüssig werde, betrete ich den Raum der pinken Moschee und stehe plötzlich in einem Farbenspiel. Vor mir tanzen bunte Muster auf den farbigen Teppichen. Rot, grün, blau, gelb. Meine Knie geben nach und ich lasse mich langsam auf den Perserteppich sinken. Ich fühle mich wie in einem großen Kaleidoskop: die einfallenden Sonnenstrahlen, die durch die bunten Fenster fallen, die bunten, in der Luft tanzenden Staubkörner, die Schattenspiele. Ich lehne den Kopf an die kühle Wand und schließe die Augen. Die Farben tanzen weiter.
Zwischen Nordkorea und Teletubbieland.
„Wait here, please!“. Ich reiße mich von einer iranischen Family los, die Selfies mit mir machen wollte und marschiere zu den anderen. Isabel wird bereits von einer Frau, die eine Schärpe mit der Aufschrift „Foreign Affairs“ trägt, mit dem Tschador verhüllt. Nachdem wir alle eingekleidet wurden, lächelt sie uns an und sagt: „Follow me!“ Wir marschieren ihr hinterher und werden in ein Büro für eben diese „Foreign Affairs“ gebracht. Die lächelnde Dame bittet uns Platz zu nehmen. Wir tun wie geheißen. Sie reicht uns Tee und Kekse. Wir trinken und essen. Sie erzählt uns vom Schah Tscheragh Komplex, wem er gewidmet wurde und warum er hier steht. Wir hören zu. Sie teilt uns Folder aus. Wir lesen. Alex wirft uns einen Blick zu. „Can we go and see the place?“, fragt er und wir alle nicken zustimmend. „Oh, you have not seen? fragt die Frau und lächelnd. „I will get you a guide!“, legt sie nach und grinst weiter. Sie verschwindet und kommt nur wenige Minuten später wieder zur Tür herein. „I will show you!“, sagt sie und grinst noch immer. Wir verlassen das Büro und watscheln der Dame mit der Schärpe nach. Auf einem riesen Platz in der prallen Sonne bleibt sie stehen. Unter dem Tschador sammelt sich die Hitze. Ich krame mein Handy aus der Tasche, denn die Kamera mussten wir abgeben. Langsam entferne ich mich von der Gruppe, um die beiden Türme der Moschee und die zugespitzte Kuppel zu fotographieren. Ich komme keine zwei Meter, als ich es plötzlich höre: „Lady, stay with the group!“ Sie grinst mich an, als ich wieder zur Gruppe zurückkehre und mich ein bisschen wie in Nordkorea fühle.
Als wir vor dem Hauptteil der Moschee stehen, weist die Frau einen Mann an, die Vorhänge zum Männerbereich zurückzuziehen, damit wir einen Blick in den Innenraum werfen können. Es glitzert. Ausländer und Touristen seien in der Moschee nicht erlaubt, sagt sie. Wieder grinst sie, obwohl wir hier nicht viel zu grinsen finden. „Aus administrativen Gründen“, meint sie, als plötzlich ein alter Mann an sie herantritt und sie anspricht. Es wird gesprochen. Sie blickt zu uns und grinst, dreht sich dann wieder zu dem schwarz gekleideten Herrn, dessen Falten tiefe Kerben ins Gesicht geschlagen haben. Weitere Sätze werden gewechselt, bevor sie sich zu uns umdreht und sagt: „He invited you to go in.“ Nun sind wir es die irritiert lächeln. „All of us?“, fragen wir. Der Männerbereich ist normalerweise für Frauen strikt verboten. „All of you“, meint sie. Jetzt grinst sie und der alte Mann uns an und wir, wir grinsen erstmals ebenso dämlich wie euphorisch zurück. Wie grinsende Teletubbies im Tschador schleichen wir uns also in den Männerbereich der Moschee. Ein mir entgegenkommender Mann blickt mich finster an. Ich imitiere das Personal und grinse. Als ich plötzlich in der Moschee stehe, sehe ich nur grinsende Münder. Und zwar meine. Ich blicke an die Decke und spiegle mich in tausenden kleinen, silbernen Fliesen.
Verbundene Herzen.
Seit Tagen freue ich mich auf diesen Zwischenstopp meiner Reise. Nicht, weil es um schöne Architektur geht oder es gar viel zu sehen gibt. Ich blicke mich um. Ein paar Touristen stehen um den von Säulen eingerahmten Grabstein, der auch nichts Besonderes ist. Denn was Hafez auf dieser Welt Besonderes zurückgelassen hat, ist nicht dieser Stein oder dieser Ort. Es sind seine Worte, seine Gedichte, seine Gedanken. Und genau wegen denen bin ich hier. Ich schließe die Augen.
„Stay close to anything that makes you glad you are alive.“
Ich wiederhole Hafez Worte in meinem Kopf, taste nach meinem Notizbuch neben mir. Ich spüre Jakob, der neben mir sitzt und fotographiert. Ich höre Mira, die auf ihrem Handy tippt und leise vor sich hinmurmelt. Ich fühle mein Herz, das so eng verbunden ist mit meinem Nomaden-Mann zuhause, mit meiner Familie und meinen liebsten Freunden. Genau hier, genau so, genau jetzt bin ich glücklich am Leben zu sein.
Jakob says
Sehr schön beschrieben. Es waren ein paar tolle Tage mit euch und ein schöner Abschluss einer sehr beeindruckenden (ersten) Reise in den Iran 🙂
Wünsche Dir noch eine wunderschöne Reise.