„Hey, you are a writer?“ Ich schaue von meinem Notizbuch auf. Neben mir sitzt ein braungebrannter Typ im weißen Muskelshirt und Kappe. Sein Gesicht besteht großteils aus weißen, blendenden Zähnen. Er grinst und zwinkert gleichzeitig. Ich mache meinen Mund auf, doch er ist schneller: „All you guys are writing, reading and stuff like this. I feel so boring round here.“ Er lacht laut. Ananta, geboren in Sumatra, aufgewachsen in Australien, lebt in Jakarta, liest nicht, schreibt nicht – aber er hört sich gerne reden. Immerhin.
Ein Tag mit Ananta.
„Hey beautiful“, höre ich die Stimme am nächsten Morgen wieder, als ich beim veganen Frühstück sitze und wieder in meinem Notizbuch schreibe. Ich habe noch immer keinen Anschluss zu den Yogamädels gefunden, aber anders als in den ersten Tag hier in Bali macht mir das mit jeden Satz, den ich aus ihren Mündern höre, weniger aus. Ich habe mich damit abgefunden, dass ich zu wenig Yoga für dieses Gegend bin. „How are you?“. Ananta lässt sich neben mir in den Sitzsack sinken und schiebt seine Sonnebrille in die Haare. Ich lege den Stift beiseite und schaue ihn an. „Do you mind if I join you?“, fragt er und grinst. Es wäre unangebracht „Nein!“ zu sagen, also nicke ich nur. Ich schaue auf die Uhr. 7:50 Uhr. 20 Minuten noch. Ananta bestellt sein Frühstück auf indonesisch und schaut mich danach fragend an: „Any plans for today?“ 7:53 Uhr. Ich erkläre ihm, dass ich raus aus dem Chicki-Yoga-Style-Dorf namens Canggu will und mir einen Fahrer für heute organisiert habe, um die nähere Umgebung zu erkunden. Seine Augen werden groß. Zwei Mädels, die ich beim Couchsurfing Hangouts kennengelernt habe und die mich eigentlich hätten begleiten sollen, haben kurzfristig abgesagt. Ich habe ein ganzes Auto für mich. Ananta schaut mich an. Ich denke an die Katze von Alice im Wunderland. „I have no plans for today“, sagt er und sein Grinsen wird noch breiter. Ich schaue erneut auf die Uhr. 7:55 Uhr. „Karma, Kerstin“, schießt es mir durch den Kopf und sehe mich plötzlich wie ich als Ameise wiedergeboren werde, weil ich das ganze Auto und diesen Tag für mich haben wollte. Ananta grinst noch immer. „Wanna join?“, frage ich ihn und das Ameisenbild vor meinem inneren Auge verschwindet. Als hätte er nur darauf gewartet, feuert mir mein neuer Reisebegleiter wie aus der Pistole geschossen zu: „Oh yeah! Great. We can split the price.“ Mein Handy vibriert. Ich schaue auf das Display: „I am here!“ Absender: Putu Agung. Mein zweiter Reisebegleiter.
Vom langen & kurzen und vom echten Leben.
Als wir im Auto sitzen und Canggu hinter uns lassen, zieht das richtige Bali an mir vorüber. Reisfelder in denen bunte Fahnen stecken, Bäume von denen Lianen hängen, staubige Straßen, kleine offene Holzhütten am Straßenrand, im Schatten derer die Einheimischen einen Mittagsschlaf halten. Putu Agung Pli sitzt auf der rechten Seite hinter dem Steuer, was mich immer noch verwirrt. Ananta redet seit 10 Minuten – über seine Ex-Freundinnen, das Leben, Sex, wieder vom Leben, von seiner Arbeit als Sportlehrer, von der Verlobung mit der Präsidententochter, seiner Fast-Fernsehshow. Er spricht Pli mit „Bro“ an. Ich verdrehe innerlich die Augen und richte meinen Blick lieber auf das Leben außerhalb des Autos, welches mir ehrlicher erscheint als jenes, welches gerade vor mir ausgebreitet wird. Die Fahrt bis zu unserem ersten Stop dauert 45 Minuten. Ananta redet 35 und schläft 10 Minuten. Dann steigen wir bei den Schmetterlingen aus.
Es kribbelt auf meiner Haut. Er ist schwarz und hat zwei orangene Augen auf seinen Flügeln. Schmetterlinge brauchen 5 Stunden um auszuwachsen, hat mir der Schmetterlingspfleger erklärt. Sie leben maximal 10 Tage. Ein viel zu kurzes Leben für so viel Schönheit. Gemeinsam mit meinem schönen Freund, der mich nicht mehr alleine lassen will, wandere ich durch den Schmetterlingspark und lasse Ananta hinter mir, der gerade damit beschäftigt ist Videos aufzunehmen, bei denen er sämtliches ihm in den Weg kommende dokumentiert und sich dabei extrem lustig findet. Er hätte ja mal fast eine Comedy Show bekommen. Fast.
Endlich Ruhe.
Ananta ist ausgeruht. Er redet ununterbrochen. Ich bin genervt und lehne meinen Kopf an die von der Klimaanlage gekühlte Scheibe. Die Ameise erscheint vor mir und ich denke mir, dass das Leben als Ameise doch wohl kaum so schlecht sein kann. Man hat genug Freunde und viel Abenteuer. Ich schließe die Augen. Ananta redet auf den 25-jährigen Fahrer ein. Mal auf indonesisch, mal auf englisch. Ich brauche Ruhe, denke ich mir, als das Auto plötzlich stoppt. „Pura Luhur Batukau“, sagt Putu und dreht sich zu mir um. War das ein Zwinkern? Wir steigen aus. Auf einer Anzeigetafel lese ich, dass schwangere Frauen, Frauen, die ihre Menstruation haben oder gerade erst ein Kind geboren haben, nicht eintreten dürfen. Diese gelten im Hinduismus als unrein. „Not pregnant?“ Ich schaue hinunter. Ein kleiner Mann hält mir ein Tuch entgegen, welches man sich in den Tempeln um die Hüften binden muss. Nein, nicht schwanger, versichere ich und nehme das Tuch entgegen. „Ich brauch nur ein bisschen Ruhe…“, denke ich mir und lasse Ananta hinter mir.
„Ey, mach mal ein Foto von mir!“ „Benny, Mann, schau mal!“ „Och, da hab ich aber schon schönere Tempel gesehen!“ Ein paar deutsche Touristengruppen stehen vor dem Tor zur Tempelanlage, posieren und reden in einer Lautstärke, die auch ein Lautsprecher nicht besser hinbekommen würden. Wie war das nochmal mit Ruhe? Tausende Stimmen reden durcheinander, doch als ich den Schritt in den Tempel mache ist plötzlich alles weg. Es ist… ruhig. Es ist… leise. Ich hole tief Luft und sauge die Ruhe der alten Steine ein, die einen grünlichen Schimmer Natur auf sich haben. Ich atme die Stille ein, die nur vom Rauschen der Blätter im Wind untermalt wird. Ich absorbiere das perfekte Zusammenspiel von Architektur und Natur. Endlich Ruhe.
Es gibt Reis, Freunde!
Als ich zum Auto zurückkehre ist Ananta schon da und Putu mittlerweile genervt. Ich grinse ihn an und frage: „Next stopp?“ „Rice, my friend!“ Wie lang dauert die Fahrt, frage ich. 30 Minuten. Wir schauen uns an und wissen was das heißt. 30 Minuten Ananta-Show später steige ich aus dem Auto aus und stehe mitten in einer grünen Reisterrasse mit Blick über nochmal tausende Reisterrassen. In unterschiedlichen Tönen und Ebenen zieht sich das Grün hier. Bei jedem Windstoss zieht sich eine grüne Welle über die Reisterrassen. Ich wandere über die Reisfelder, schaue den Wellen zu, muss Fotos von Ananta machen, wie er Yogaposen am Reisfeld macht, die er dann auf Instagram mit einem seiner lustigen Witze posten kann. Beim Mittagessen in einem kleinen Lokal neben dem Reisfeld, blicke ich zu Boden: Eine Ameisenstraße zieht an meinem linken Fuß vorbei. Die kleinen schwarzen Ameisen marschieren in einer Reihe dahin. Eine von ihnen drängt ein großes Reiskorn auf ihrem Rücken, dass wohl einem unachtsamen Touristen vom Teller gerutscht ist. Ich grinse. Es gibt Reis, Freunde!
Chinesen wie Ameisen.
Letzter Stopp. Ich schnaufe, während Putu den Wagen stoppt, denn ich ahne bereits was hier auf mich zukommt. Schon am Parkplatz wimmelt es wie in einem Ameisenhaufen. Chinesen. Wir steigen aus und weiche dem ersten Selfiestick aus. Beim Tempel, der auf einem Stein im Wasser gebaut wurde und nur bei Ebbe zu besteigen ist, blicke ich auf ein buntes Gewusel von Menschen. Chinesen. Millionen Selfiesticks ragen in die Lüfte. Die Schlange beim Eingang zum Tempel ist lang und so beschließe ich doch lieber auf den steinigen Felsen herumzuwandern. Ananta folgt mir und quatscht alle 10 Meter andere Leute an. „Hey you, where are you from?“ „You are a cool guy, dude.“ Er stellt sich ungefragt zu fotographierenden Paaren dazu. Ich schaue verlegen auf den Boden. Der Typ wird mir immer suspekter. Nach 20 Minuten – und 20 Ananta Fotos und 10 neuen Bekanntschaften – steigen wir wieder ins Auto. Ich überlege mich schlafend zu stellen – aber als ich Putus Augen im Rückspiegel sehe, trage ich mir geistig wieder einen Karma Pluspunkt ein. Mittlerweile müsste ich beim Koala angekommen sein. (Essen, schlafen, fortpflanzen – Top Tierleben 😉 )
Der Wagen rollt in Canggu ein und die Straßen werden voller. Die Mopedgeräusche lösen die Ruhe ab und überall schießen Hippe Lokale aus dem Boden. Willkommen zurück in Canggu. „Oh!“, sagt Ananta neben mir, „I need to pick up my laundry.“ Er grinst. Ich nicke. Er sagt Putu anzuhalten und springt aus dem Wagen.“Bevor er die Türe hinter sich zuknallt sagt er noch: „I’ll text you…“ Ich lächle matt. „Bye“, rufe ich ihm erleichtert nach und es ist mir egal, dass er keinen Cent der Kosten von Putu übernehmen wird. Koala, denke ich. Und Putu lächelt mich an. Das Leben wird schön – als Koala.
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