Alles schaukelt. Als ich aus dem Fenster schaue, sehe ich den wuseligen Hafen und die grüne Insel Bali immer kleiner werden. Eine Reihe vor mir ist das Fenster offen und immer, wenn wir über die Wellen brettern, spüre ich einen leichten Wassernebel auf meinem Gesicht. Ich mache die Augen zu, lasse mich berieseln und fühle, wie sich ein bisschen Erleichterung in mir breit macht.
Alleine im Paradies.
Alles schwankt, als ich Nusa Lemongan betrete. Ich klammere mich an die Straßenlaterne, die keine Laterne mehr hat und versuche mein Schwindelgefühl auszubalancieren. Mein 15 Kilo Rucksack macht mir diese Aufgabe nicht leichter. Ich spüre noch immer wie sich mein Körper über die Wellen wirft, obwohl keine Wellen mehr da sind. „Reef Hut“, grinst mich ein junger, dicklicher Mann von der Seite an und schaut auf meine Brust. Ich folge seinem Blick. Achja, da war doch der Sticker der Bootsgesellschaft der ausweist, wo man mich abzusetzen hat. „Yes!“, murmle ich und hoffe, er hat sein Auto in der Nähe geparkt, denn das Schwanken wird immer schlimmer. Nach 2 wackeligen Minuten erreichen wir den kleinen Pritschenwagen, dessen Ladefläche Gepäck und Touristen transportieren soll. Wie beim Tetris beginnt der dickliche Balinese, Köffer und Mitreisende einzuschlichten, bis nur mehr ich vor dem bepackten Wagen stehe. „You alone?“, fragt er und schaut sich um. „I am alone!“, sage ich und hoffe er hört bald auf, mitleidig in der Gegend nach meinem Begleiter zu suchen. „Ahhh“, höre ich und etwas Erleichterung schwingt mit. Als ich zwei Minuten später, eingeklemmt zwischen meinem Rucksack und dem Fahrer, im Fahrerabteil sitze, weiß ich auch warum.
„You alone?“ Schon wieder diese Frage. Ich schaue hinter den Holztresen der Hotelrezeption und blicke in die dunkelblauen Augen des Hotelbesitzers. „I am alone!“ Ich versuche nicht genervt zu klingen. „You booked a double room?“ Er schaut verwirrt in seinen Computer. „Yes“, sage ich und bin nahe dran ihm zu erklären, dass es in seinem Hotel ja keine Einzelhütten gibt. Hinter mir stehen zwei australische und ein chinesisches Pärchen. „Oh ok“, sagt er, reicht mir den Schlüssel und schaut mich an als wäre ich ein an einer Raststätte ausgesetzter Welpe. „You can sit, I’ll show you your hut“, lächelt er mitleidig und deutet auf das kleine Sofa neben der Rezeption. Ich wuchte meinen Rucksack auf das Sofa und setze mich, als plötzlich eine junge Frau im Saroong mit Getränken auftaucht. „Welcome drink!“, säuselt sie, reicht dem australischen und chinesischen Pärchen ihre Cocktails und steht dann mit zwei Cocktailgläsern vor mir. „You…“, fängt sie an und schaut abwechselnd zu den zwei übrig gebliebenen Gläsern und zu mir. „Alone.“ unterbreche ich sie, grinse und greife zu beiden Cocktailgläsern. „Yes, I am alone!“
Ich bin auf Weltreise!
Ich werfe meinen Rucksack auf das Doppelbett, dessen leere Hälfte ich noch in jedem Zimmer zu einem Kleiderschrank umfunktioniert habe und schließe die Tür wieder hinter mir. Ich marschiere durch den kleinen Garten, vorbei an den Hütten der Pärchen und lande plötzlich an meinem Ziel. Und zwar nicht an irgendeinem – sondern am Infinitypool. Ich denke an die ganzen Fotos von Weltreisenden, die man sieht, bei denen mindestens ein Foto von einem strahlend blauen Infinitypool dabei ist. Ich reiße mir die Klamotten vom Leib – eine Szene aus einem Erotikfilm könnte es nicht besser machen – und springe ins Türkis. Meine Wimperntusche verrinnt. Ich frage mich, wie diese stylischen Reiseblogger das immer hinbekommen. Nach zwei Zügen bin ich am Ende des kleines Pools und blicke über das ebenso türkise Meer, das sich in den Morgenstunden ganz zurückgezogen haben und die Seegrasfelder freilegen wird. Ich spüre die Wärme auf meiner Haut. Ich rieche das Salz in der Luft. Und dann kommt es ganz plötzlich. Wie ein Blitzeinschlag, den man nicht erwartet hat, und der durch den ganzen Körper fährt. Es tut fast weh, so schnell und schön ist der Gedanke: Ich hat’s wirklich geschafft! Ich bin hier! Ich bin auf Weltreise!
Now!
… höre ich den Guide sagen. „Jump in!“ Ich blicke mich verwirrt um. Unser Boot steht in einer Bucht mit einigen anderen Booten. Wir sind gefährlich nahe an den Klippen. Immer wieder klatschen die Wellen an die schroffen, steilen Steinwände und rollen dann zurück zu unserem kleinen Holzboot. Alles wackelt. „Jump!“, höre ich den dünnen Balinesen erneut rufen. Seine Hand hält er ausgestreckt zum Wasser. Ich richte meine Taucherbrille, sauge die Luft durch die Nase ein und atme durch den Mund aus, bevor ich mich ins dunkelblaue Wasser fallen lassen. Ich habe noch nie so viele Blautöne gesehen die mich gerade einhüllen. Das Wasser ist genauso kalt wie blau. Meine Lunge zieht sich zusammen und ich beiße auf meinen Schnorchel. Ich spüre die Gänsehaut, die sich über meinen ganzen Körper zieht. Ich schließe die Augen und treibe im Wasser. Als ich sie wieder aufmache ist er da. Mein Atem stockt und ich wage mich nicht zu bewegen. Ich schau in Richtung des Meeresbodens. Wo vorher entfernter helltürkiser Sand zu erkennen war, sehe ich jetzt nur schwarz. Ein tiefes, nahes Schwarz. So nah, dass meine Nasenspitze das Schwarz fast berührt. Nur Sekunden sind es die sich aber wie Minuten anfühlen, bis er meinen Schatten verlässt und er weiterschwebt. Erst als der Manta Rochen im Türkis verschwindet, traue ich mich wieder zu atmen und mein Herzschlag setzt wieder ein. Die Gänsehaut der Kälte weicht der Gänsehaut der Emotionen. Hätte ich den Schnorchel nicht im Mund, würde ich grinsen. Ich schaue in das Türkis vor mir und sehe plötzlich zwei schwarze Flecken auf mich zuschweben. Immer wieder sehe ich das Weiße ihrer Unterseite aufblitzen. Als die zwei Mantas mich umkreisen, bin ich mir sicher: Ich strahle.
Übung macht den Meister.
Ich gebe Gas und rolle an. „Wie kann es sein, dass ich vor knappen zwei Wochen noch Angst davor hatte?“, frage ich mich und setze den Blinker, der mich von der Schotterstraße auf die kleine, schmale Hauptstraße bringt. Mittlerweile sind Tage, an denen ich nicht auf den Scooter steige rar und wenn sie doch einmal vorhanden sind, fehlt mir etwas. Das Gefühl, stehen zu bleiben wann ich will. Die Freiheit, selbst zu entscheiden wohin ich will. Unter mir ändert sich der Asphalt. Ich fahre über die gelbe Brücke nach Nusa Ceningan. Die Metallplatten unter mir rattern. Ich weiche einem Fußgänger aus, der gerade Fotos von der Brücke macht, überhole eine alte Frau, die einen Wäschesack auf ihrem Kopf balanciert und deute einem entgegenkommenden Mopedfahrer. Der Wind bläst mir durch die Haare. Helme gibt es hier keine. Am Straßenrand sehe ich ein Holzschild: „Blue Lagoon!“ Ich biege mit der schwarzen Honda auf den Schotterparkplatz und stehe plötzlich an der Klippe. Unter mir eine Bucht mit kristallklaren hellblauen, türkisen und dunkelblauen Wasser. Die Farben verschwimmen, als hätte man ein Aquarellbild gemalt. Malerisch im wahrsten Sinne des Wortes.
Klick. Neben mir posiert eine Chinesin. Sie breitet ihre Arme aus. Der Wind fährt unter das bunte Tuch, welches sie um ihre Schultern gelegt hat und plustert es auf wie ein Segel. Ihr Freund, der auf den Knien auf staubigem Boden sitzt, gibt ihr Anweisungen und schnauft ab und zu genervt. Ich grinse und sehe die Fotos in ihrem Instagram Profil vor mir. Klick. Neue Pose, diesmal sitzt sie. Ihr Freund verschwindet in einer Staubwolke am Boden. Ich schmunzle vor mich hin und krame nach meiner Kamera, auf der bisher nur Landschaftsfotos und Fotos von anderen Menschen sind. Klick. Das Shooting nebenan ist bei der dritten Pose angelangt. Die Chinesin strahlt in die Kamera. Ich schaue mich um – das Chinesenpärchen und zwei andere junge Frauen stehen am Rand der Klippe. Langsam ziehe ich den Selfiestick aus der Tasche, auf der meine Action Cam steckt. Nicht irgendwann, sondern nach genau vier Wochen alleine auf Reisen wird es Zeit seine Vorurteile gegen Selfies und Selfiesticks über Bord zu werfen, wenn man den Freunden und Verwandten in der Diashow danach nicht nur Landschaftsfotos und Fotos von fremden Menschen präsentieren möchte. Ich grinse in die Kamera. Klick.
Die Versöhnung.
Der Weg hierher war holprig. Einmal musste ich umkehren, weil ich die falsche Abzweigung genommen habe. Ich bin über steile Hügel gefahren, über holprige Straßen, dunkle Wälder. Aber jetzt sitze ich hier. Der Strand ist fast menschenleer. Nur ein paar Fischerboote treiben am Wasser. Alles schimmert orange. All die Nervosität der Fahrt hierher, der gesamten Reise hierher ist jetzt Ruhe pur. Das Brechen der Wellen entspannt mich, beruhigt mein reisendes Herz. Ich sinke tiefer in den Sitzsack, der vor einer kleinen Bar liegt. Ich spüre den warmen Sand unter meinen Füßen. Ich höre das Meer singen. Ich fühle die untergehende Sonne auf meiner Haut, den stärker werdenden Wind. Und als die Sonne alles in Lila färbt, hat es diese Insel doch tatsächlich noch geschafft. Ich blinzle in die untergehende Sonne und weiß: Es gibt es doch. Das Stückchen Paradies auf Bali.
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