„Welcome to Nusa Penida. My name Kadek.“. Ein kleiner, älterer Mann streckt uns die Hand entgegen, als wir das kleine blaue Holzboot verlassen, welches uns – Simone, Jessica – zwei tolle Schweizerinnen und mich – auf der größten der drei Nusa Inseln abgesetzt hat. Die Überfahrt hat 20 Minuten gedauert.
Meet.
Kadek. In meinem Hirn rattert es. Hab ich hier nicht schon mal einen Kadek kennengelernt? In meinem Kopf spule ich meine Bekanntschaften durch – Taxifahrer, Hotelmanager, Yogalehrer, der Typ in der Bar, der andere im Supermarkt, … sicherlich. Was auch nicht so schwer ist, denn…
Auf Bali folgt die Namensgebung der Reihenfolge der Geburt. Es gibt Namen für vier Kinder. Bei Kind Nr. 5 beginnt der Kreislauf von vorne. Putu ist beispielsweise der Name für einen Erstgeborenen. Kadek oder Made hingegen für den Zweitgeborenen. Nyoman oder Komang heißt das 3. oder Ketut das 4. Kind. Familiennamen gibt es kaum. Familien, die aber einer höheren Klasse angehören – also dem“Adel“ – dürfen den Namen „Agung“ tragen.
Kadek winkt uns zu folgen. Immer wieder dreht er sich zu uns drei Mädels um und grinst. Auch als er im Auto auf die Screenshots von Simones Smartphone schaut, mit denen sie unsere Route geplant hat, grinst er. Broken Beach, Angels Billabong, Temple Cave,… er grinst und nickt. Er spricht kaum Englisch und ich schaue ihn fragend an. Ich bin mir nicht sicher ob er weiß, warum er gerade das Handy in Händen hält. Langsam greift er zum Schüssel des neuen Hondas. Ich frage skeptisch: „Where is our first stopp?“ Er grinst.
Pray.
Der eng gebundene Saroong macht es schwierig die vielen Stufen hinauf zu steigen. Ich schnaufe und bleibe stehen. Bald ist das Ziel erreicht. Der Höhlentempel. Simone hat diesen im Internet entdeckt. Ich bin so ungeplant in diesen Ausflug gegangen wie noch nie. Ich lerne mich treiben zu lassen und jede Situation und jeden Ort, den ich entdecke, als Geschenk zu betrachten. Ich lerne zu reisen. Die letzte Stufe. Am Ende des Weges angekommen, schaue ich mich um: Viele weiß gekleidete Männer sitzen auf dem Boden, vor ihnen Räucherstäbchen in kleinen, aus Blättern geflochtenen Gebetsschalen. Zwei Türen führen von dem Platz in kleine Räume, in deren Dunkelheit man gelagerte Kisten sieht. Keine Höhle. Kein Tempel. Mitten in meinen Gedanken höre ich ein „You can go!“. Ein kleiner Mann winkt uns zu sich. „Gehen wohin…?“, frage ich mich, als sich ein weiterer weiß gekleideter Mann vor mich stellt und mir drei Räucherstäbchen vor das Gesicht hält. Ich höre ihn etwas murmeln. Der Rauch brennt in meinen Augen. Nach dem auch Simone und Jess eingeräuchert wurden, sagt einer weiterer weißer Mann: „Now!“ und deutet gerade auf die gelbliche Steinwand, die den kleinen Platz, auf dem wir stehen, eingrenzt. Zwei große Steine liegen im Vordergrund auf dem Boden. Ich schaue verwirrt auf die Wand und dann wieder auf den Mönch. Er grinst. Seine weißen Zähne leuchten aus seinem Gesicht. Mein Blickt folgt seiner ausgestreckten Hand, als ich es plötzlich sehe: Versteckt hinter den zwei großen Steinen ist ein schmales, kaum sichtbares Loch im Boden. Der Eingang zum Höhlentempel.
Wir steigen ein. Der weiße Mann voran. Ich halte mich an den Steinen fest und lasse mich in das kleine Loch sinken. Die ersten Meter sind eng und nur auf allen Vieren zu bewältigen. Mein Rucksack streift an der rauen Decke, als ich unter einer tief hängenden Steindecke hindurchkrabble. „Watch!“, höre ich den Mann vor mir murmeln. Ich ducke mich unter einem hängenden Felsen hindurch und blicke zu Boden. Als ich den Kopf wieder hebe, habe ich statt der Enge eine unglaubliche Weite vor mir. Die Steinwände sind nur schwach beleuchtet, aber dennoch erkennt man die Ausmaße dieser unterirdischen Tempelanlage. Das Rascheln der Fledermäuse ist entfernt und doch hallt es durch die Steinwände. Überall riecht es nach warmer Erde und Räucherstäbchen. „Come!“, höre ich es von der aus der Dunkelheit weiß leuchtenden Gestalt. Ich marschiere ins Nichts, vorbei an kleinen Betstellen, schwach beleuchteten Statuen, dunklen Abzweigungen.
Vor einem größeren Schrein deutet uns der Mann in weiß uns auf den Boden zu setzen. „Pray.“, sagt er und drückt Simone eine der typischen, geflochtenen und mit Blumenköpfen gefüllten Schalen und ein Räucherstäbchen in die Hand. Simone schaut mich an. Auf den Knien sitzend blicke ich mich um. Neben uns sitzen zwei ältere Frauen. Das Räucherstäbchen haben sie in die Schale gesteckt, die vor ihnen auf den Boden steht. Ich stubse Simone an und nicke in die Richtung der beiden. Dankbar für den Tipp steckt Simone das Räucherstäbchen in die Schale und stellt sie vor uns auf den Boden. Ein Gong hallt durch die Höhle. Als der Mann in weiß zu beten beginnt, nehmen die Frauen eine Blüte, legen sie zwischen die gefaltenen Händen und heben sie zur Stirn. Wir tun es ihnen gleich. Stecken uns wie sie die Blüte nach dem Gebet hinter die Ohren und wiederholen diesen Vorgang dreimal. Das Gemurmel stoppt. Wieder schaue ich zu den Frauen. Die jüngere der beiden zwinkert mir zu und grinst. Verlegen lächle ich zurück, doch ihre Aufmerksamkeit gilt nun dem mit einer Schale vor ihr stehenden weißen Mann. Sie formt die Hände zur Schale, er tröpfelt das Wasser aus der Schale in ihre Hände, sie führt die Hände an die Lippen. Und trinkt. Zweimal. Beim dritten Mal lässt sie das Wasser über ihre Stirn laufen. Ein zweiter Mann in weiß kommt dazu, auch er hat eine Schale in der Hand. Die Frau mit dem nassen Gesicht greift in eine weitere Schale und …
„Drink“ steht der erste Mann in weiß plötzlich vor mir. Ich schaue zu ihm auf. Er schaut auf meine Hände. Schnell lege ich sie übereinander. Er schüttelt den Kopf, legt sie erneut übereinander und tröpfelt Wasser in die wasserundurchlässige Handschale. „Drink.“ wiederholt er. Ich nippe. Er nickt. Wieder Wasser. Wieder der Befehl zu trinken. Ich nippe und bete diesmal wirklich, dass ich die nächsten drei Tage nicht ausschließlich auf der Toilette verbringen werde. Die dritte Ladung Wasser leere ich mir über die Stirn. Als das Wasser in mein Auge rinnt, tritt plötzlich der zweite Mann verschwommen vor mich und die Hände entgegen. Ich blinzle in die Schale. Reis? Ich bin verwirrt. Was sollen wir denn jetzt mit dem Reis tun? Ich warte auf eine Aufforderung und strecke verunsichert meine Hand aus. Wasser. Stirn. Reis. Doch plötzlich erinnere ich mich und weiß was ich zu tun habe.
Als wir wieder im Auto sitzen haben Simone, Jessica und ich Reis auf der Stirn und ein aus einem schwarzen, roten und weißen Faden gedrehtes Gebetsarmband ums Handgelenk. Ich schaue zu Kadek, der auf die Straße vor uns grinst. Um seinem Handgelenk hat er fünf dieser Armbänder.
Love.
Am Abend sitze ich im Mamma Mia’s an meinem Stammplatz, esse einen Seegrassalat, schaue in die Dunkelheit vor mir und denke an den Tag, der hinter mir liegt. An die länger als gedachte Wanderung in Flip Flops zu einem in eine Felswand geschlagenen Tempel im Dschungel. An das Gefühl, meine nach der Wanderung erschöpften Füße in das kalte Wasser des kleinen Naturpools zu stecken. An den fast außerirdisch anmutenden Infinitypool, in dem wir gestanden sind und den Wellen, die immer über die Klippen gedonnert sind, zugeschaut haben. An die Buchten, die ausgeschaut haben als wären sie aus einem Werbeprospekt ausgeschnitten und in die Welt geklebt worden. Ich denke an Kadek, der immer grinst, egal ob beim Autofahren oder beim 8 Kilometermarsch durch die Hitze im Dschungel. Ich denke an Simone, die all die schönen Orte, die wir heute gesehen haben, ausfindig gemacht hat. Und an Jessica, die mit ihrer offenen Art ganz bestimmt auch einmal ein großes Abenteuer vor sich hat. Und dann, dann denke daran, dass man solche Tage ja nur lieben kann.
Schreibe einen Kommentar