Es ist stockdunkel. Eine milchige Nebelschicht legt sich über den grauen Asphalt der Straße, auf der wir mit 100 Sachen durch Bali brettern. Ich schließe die Augen und alle Geräusche sind plötzlich wie in Watte gepackt. Hinter mir höre ich Kyle dumpf schnarchen. Gemeinsam mit ihm, seiner Frau Barbara, Leila und Cori aus Amerika werde ich heute Nacht einen aktiven Vulkan besteigen.
„We are here!“, höre ich den Fahrer neben mir und schrecke hoch. Es ist noch immer dunkel, als ich aus dem Auto steige. Nur der Nebel hat sich verzogen und hat das Grau in ein tiefes, verschlingendes Schwarz verwandelt. „Hey, I am Madei!“, säuselt es plötzlich neben mir aus der Schwärze. Zwei kleine Augen und eine Taschenlampe leuchten mir auf Brusthöhe entgegen. Eine Hand schießt vor. „Your Flashlight!“, sagt die Stimme aus der Dunkelheit. Ich greife nach der Lampe und schalte sie ein. Ein kleiner, blasser Lichtpunkt, der es nicht einmal vermag einen meiner Füße zu beleuchten, erscheint auf dem Boden. Madei tritt in den kleinen Lichtkreis, was nur geht weil sie sehr, sehr klein ist. Am Rücken hat sie einen ebenso kleinen Rucksack, an den Füßen abgetretene kleine Nikes. Sie schaut in die Runde aus Lichtpunkten und blickt dann gehetzt auf ihre Plastikuhr. „4. We have to go!“, sagt sie, macht auf dem Absatz kehrt und wird plötzlich wieder von der Dunkelheit verschluckt.
Wir starten schnell. Um uns herum nur Schwarz. Und in der Schwärze noch schwärzere Flecken. Bäume, frage ich mich. Oder Häuser. Ich blicke nach vorne. Madei ist nur ein kleiner Lichtfleck vor uns, Leilas Licht weit hinter uns. Ihr Schnaufen wurde immer leiser. Ich stolpere und richte die Taschenlampe wieder auf den Boden, platziere meinen Fuß, steige über den Stein. Jeder Meter besteht seit einer Stunde aus demselben Ablauf: Boden ableuchten, Fuß platzieren, Schritt ausführen. Boden ableuchten, Fuß platzieren, Schritt ausführen. Ich denke an meine Geh-Meditation in Canggu. Wie das Mitsagen der Bewegungsprozesse einen in eine richtige Trance fallen lässt. Einem alles vergessen lässt, bis auf das Hier und Jetzt. Ich habe viele Ruf- & Fragezeichen in meinem Kopf: Den Gedanken an meinen Nomaden-Mann, den ich vermisse, die Frage ob die Entscheidung die Reise zu unterbrechen richtig war, woher meine immer wieder kehrenden Schmerzen kommen, die Frage wie es wohl nach der Reise weitergeht. Ich halte meine Gedanken an und beginne mir leise vorzusagen: Leuchten. Platzieren. Ausführen. Leuchten. Platzieren. Ausführen. Leuchten. Platzieren. Ausführen.
Der Weg wird immer steiler. Die Steine unter mir um ein Vielfaches größer als mein schwacher Lichtkegel. Der Weg lässt keinen Platz für Unachtsamkeit. Meine Füße zittern vor Anstrengung. Der Schweiß brennt in meinen Augen. Ich bleibe erschöpft stehen.
Mittlerweile sind auch Barbara und Kyle in der Dunkelheit verschwunden. Ich schaue mich um und bin endlich so alleine, wie ich mich so oft während der Reise gefühlt habe. Doch plötzlich sehe ich sie: eine schwach leuchtende Lichterschlange zieht sich vor mir in den Himmel. Ich verfolge die Lichterkette, die sich vor mir hinschlängelt. Schnell schaue ich wieder auf den Boden und mache es wie Momos Straßenkehrer: Schritt für Schritt ans Ziel. Also doch nicht so alleine wie gedacht.
Als ich den Gipfel erreiche, ist aus dem Schwarz ein grelles Grau geworden. Aus den vielen Lichtpunkten sind Nebelgestalten geworden, die sich am kleinen Einkehrplatz am Gipfel versammelt haben. Ich höre Spanisch, Englisch, Portugiesisch, Niederländisch, Französisch, Deutsch, Hindi. Die ganze Welt ist auf diesem Vulkan, als die Sonne das Licht der Welt erblickt und sich ihren Weg zu uns durchkämpft, um dann, wie erschrocken von der Vielzahl der Zuschauer, wieder hinter einer Nebelwolke zu verschwinden. Ein kurzer Gastauftritt, denke ich mir und klammere mich an meinen warmen Tee, der mich ein kleines Vermögen gekostet hat. Aber wie heißt es nochmal: Der Weg ist das Ziel.
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