Ich blicke mich in dem kleinen Zimmer um. Mein Rucksack steht prall gefüllt im Eck. Der Ventilator läuft. Der Schimmelfleck ist auch nicht davongelaufen, sondern ist noch immer da, an der Decke über meinem Bett. So klein und modrig dieses Zimmerchen auch ist und so unwohl ich mich anfangs hier gefühlt habe, so schnell ist es auch hier wieder zu einem kleinen Zuhause geworden. Ich schau in den kleinen Spiegel am Kasten und zupfe mein einziges „Ausgeh-Outfit“ zurecht. Es ist mein letzter Abend hier in Buenos Aires – und der wird gefeiert. Beim Verlassen des Hotels sperrt mir die junge Argentinierin die Türe auf und deutet auf den Schlüssel. „El Clave“, sagt sie und grinst mich an. „The key“, sage ich und grinse meine „Lern-Freundin“ an. Auch Rituale wie dieses machen ein Zuhause aus.
Steak, Wein & neue Freundschaften.
Nach einer schon so gewohnten Subte-Fahrt mit der U-Bahn, warte ich am Ausgang auf Verena. Eine kleine Argentinierin mit hohen Plateauschuhen kommt auf mich zu und fragt mich, wo denn die „Calle Nicaragua“ ist. Ich schüttle den Kopf und sage ihr in meinem Schulspanisch, dass ich nicht von hier bin. Sie schaut mich überrascht an und geht weiter. Ich schaue ihr überrascht nach und freue mich ein bisschen, schon fast wie eine Einheimische in der Gegend rumstehen zu können. Fehlt nur mehr der Mate, denke ich mir und muss lachen, als plötzlich Verena um die Ecke biegt. Wir begrüßen uns wie alte Freunde und gehen los. „Jetzt wird es Zeit!“, sagt sie. „Dringend“, sage ich. Wir grinsen uns an und wissen beide, was wir meinen: Das beste Steak in Buenos Aires und natürlich das obligatorische Glas „Copa de Vino tinto“.
Nach einem Spaziergang durch das hippe Palermo Soho, das mit Streetart, coolen Lokalen und teuren Designerläden gepflastert ist, fallen wir im gut bewerteten Steak House ein. Der Kellner bringt uns die Karte, doch wir wissen es bereits ohne nachzusehen und sogar auf Spanisch: Bife de lomo jugoso – Medium Rare, was in Argentinien eher unüblich ist – y un copa de vino Malbec. Während wir ins Plaudern mit Sandra, einer Freundin von Verena, die auch gerade in Buenos Aires ist, verfallen, stellt uns der Kellner plötzlich die zwei riesigen Fleischstücke vor die Nase. Verena und ich verstummen augenblicklich. Ein Blick reicht und auch jetzt wissen wir es sofort: Das ist das perfekte Steak. Für den perfekten letzten Abend.
Fernet Cola, Argentinier & ein halber Heiratsantrag.
„Ich werde jetzt bald mal …“, murmle ich und schaue auf meine Uhr. Doch noch bevor ich den Satz fertig gesprochen habe, unterbricht mich Verena: „Sicher nicht. Wir gehen jetzt noch etwas trinken.“ Ich denke an das Taxi, dass mich um 5 Uhr abholt und zum Flughafen bringt. Es ist 22 Uhr. „Na gut, ein Glaserl noch…“ sage ich mit den ernstgemeintesten Vorsätzen. 10 Minuten später sitzen wir in einer der hippen Straßenbars in Palermo, umgeben von lauten Argentiniern. Vor mir steht mein Fernet, der hier mit Cola getrunken wird und den ich mir nur bestellt habe, weil ich ihn zumindest einmal getrunken haben will. Beim ersten Schluck kneife ich die Augen zusammen. „Und?“, fragt Verena, die dieses Must-Have mit weißer Voraussicht ausgelassen hat und an ihrem Weißwein nuckelt. „Genauso schlimm wie Jägermeister mit Cola!“, grinse ich, als ich plötzlich ein „Hola!“ neben mir höre. „De donde sos?“, fragt mich ein junger Mann. Ich spule meine Lebensgeschichte ab: Wien, 30, bin hier zum Spanisch lernen, reise noch länger durch Südamerika. Er stellt sich vor, erzählt, dass sein Großvater aus Österreich ist, er deshalb einen deutschen Nachnamen hat. Ich grinse ihn an und will mich wieder zu Verena drehen, als er plötzlich sagt: „You are cute. I will marry you in 4 years!“ Ich erstarre. „Hat er das jetzt echt gesagt?“, frage ich Verena und spule den Satz nochmal ab. Missverständnisgefahr gleich 0. „Sorry?“, ich drehe mich wieder zu ihm um. „Your are cute and I will marry you in 4 years.“ Er grinst mich selbstsicher an. Trotzdem ich von der Flirtsicherheit der Argentinier gewarnt wurde, bin ich überrascht und etwas überrumpelt. Meine Antwort ist an meinem Ringfinger und so halte ich ihm meine Hand unter die Nase: „Too late.“ Ich grinse ihn an. „No Problem.“, sagt er und hebt seine Hand, an der ebenfalls ein Ring steckt. Ich verschlucke mich an meinem Fernet Cola. So geht Flirten hier also. Als ich um 3 Uhr früh ins Taxi steige, dreht er sich noch einmal zu mir um: „See you in 4 years.“ Ich schaue auf meinen Ring. Sicher nicht!
Danke, Buenos Aires.
Um 4:40 Uhr läutet mein Wecker. Um 5 Uhr steige ich ins Taxi. Um 6 Uhr steige ich in den Flieger und als das Flugzeug zu Rollen beginnt, beginnen meine letzten Minuten in der Stadt, die ich lieben gelernt habe. Ich hole mein Notizheft heraus, in das ich viel zu selten schreibe, weil ich statt zu „erleben“ viel mehr „gelebt“ habe: Ich bin jeden Tag zur Schule gegangen, bin durch mein Viertel spaziert, habe mir meinen Mittagssalat immer beim selben Laden geholt, habe mich mit 1.000 Argentiniern in volle U-Bahnen gedrängt, war von den vielen Demos genervt, war Picknicken im Park, hab Mate mit Fremden getrunken und war Feiern mit Freunden. Als wir abheben, sehe ich diese riesige Stadt immer kleiner werden. Und ich weiß: Für mich wirst du nie kleiner werden als riesig, Buenos Aires. Denn du hast mir das Größte geschenkt: Ein bisschen Heimat in der Ferne und vor allem eine noch viel größere neue Freundschaft.
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