Gefühlte tausend Menschen stehen um uns herum. Alle haben sie, wie wir, ihre Taschen, Rucksäcke oder Köffer mit dabei. Ich schaue mich verwirrt um: 17 Schalter mit unterschiedlichen Destinationen. Nr. 16 Otavalo. Ich deute dem Nomaden-Mann und marschiere zur Schlange, als mich plötzlich der Security stoppt. „Arriba!“ Er deutet auf den Bahnsteig – auf dem weitere tausend Menschen anstehen. Der Nomaden-Mann schaut mich fragend an, als der Security in drei Sätzen erklärt, was ich nicht wahrhaben wollte.
Eine Taxifahrt, die ist lustig,…
„Er meint, wir sollen uns dort anstellen!“ Ich schaue zur Menschenschlange, die sich nur alle 10 Minuten um eine Person zu verkürzen scheint. Trotzdem stellen wir uns an. Neben uns laufen Taxifahrer auf uns zu und versuchen Kunden zu ergattern, die sie nach Otavalo karren können. „Und jetzt?“, fragt mich der Nomaden-Mann. Bevor ich „Warten“ vorschlagen kann, kommt eine andere Antwort von hinten: „Want to share a taxi?“ 2 Stunden warten und länger fahren für 2,50 Dollar oder schneller ankommen und ohne warten für 10 Dollar. „Sure!“, antworten der Nomaden-Mann und ich im Einklang.
„Ähm…“ Im Halbkreis stehend schauen wir auf das gelbe Taxi, welches uns einwandfrei nach Otavalo bringen könnte. Wäre da nicht der absolut platteste Reifen, den ich je gesehen habe. „Das wird uns wohl nicht nach Otavalo bringen.“, sagt der Nomaden-Mann noch grinsend. Ich deute auf das Taxi neben uns, vor dem ebenfalls ein Halbkreis steht. „Das wohl auch nicht!“, scherze ich. „Neid“, sagt Sandra – unsere Mitfahrerin aus Schottland – die gut spanisch spricht und Javier, den Afro-Ecuadorianischen Taxifahrer, gleich mal gefragt hat wie es sein kann, dass beide Reifen platt sind. Javier zuckt die Schultern und sagt nur „Wait!“ Bevor er uns allein in der Straße stehen lässt. Während Sandra, der Nomaden-Mann und ich warten, läuft Ted – aus New York – wie ein aufgewühlter Hamster durch die Straße. „Wohin ist er? Sandra! Gehen wir. Was machen wir jetzt? Wo ist er hin?“, feuert er los. „Ted, keep calm!“, beruhigt ihn Sandra. Ich stehe am Gehweg und grinse den Nomaden-Mann an, der zum Glück mittlerweile ein besseres Nervenkostüm als der große Hamster hat. „Ein bisschen Abenteuer!“, sage ich, als ein Freund von Javier plötzlich mit einem Schlüssel klappernd um die Häuserecke biegt und einen grauen Chevrolet aufsperrt. „The car of my wife!“, sagt Santiago, unser neuer Fahrer. „Let’s go!“ Zwei Stunden, einen Stau, viele ruckelige Straßen, einen Pipi-Stopp, viele nette Gespräche mit unseren Mitfahrenden, einmal nach dem Weg fragen und einmal Auto anschieben später sind wir dann doch endlich da, wo wir hinwollten.
Im Partnerlook in Otavalo.
Ich habe das Gefühl mitten in einem Ameisenhaufen zu stehen. Einem ziemlich lauten und bunten Ameisenhaufen aus Menschen. Denn als wir aus dem Auto von Santiago aussteigen, sind wir mitten im Gewussel des größten Kunsthandwerkmarktes Südamerikas: Otavalo. Vor uns erstreckt sich ein riesiger Platz mit Zelten und Ständen. Ich wuchte meinen Rucksack auf den Rücken und drehe mich zum Nomaden-Mann, der das Shopping-Gen im Blut hat: „Los geht’s!“ Nach zwei Metern der erste Stopp: Wolle aus Alpaka, bunte Ponchos, Pullover, weiche Tücher und Decken. Eine kleine Frau mit langen schwarzen Haaren und der typischen Indigenen Tracht schaut zu mir auf: „Try?“, fragt sie und versucht mit ihrem zahnlosen Mund zu lächeln. Ihre Haare trägt sie zu einem langen Zopf gebunden, auf ihrer weißen Bluse sind bunte Blüten und auf ihrem Kopf liegt ein blaues Kopftuch. Zwei Stände weiter gibt es geschnitzte Holzfiguren zu kaufen. Der Verkäufer trägt einen Filzhut und hat die langen schwarzen Haare, genauso wie die alte Dame, zu einem Zopf gebunden. Er grinst uns freundlich an und deutet auf die Figuren, die genauso aussehen wie er: Die indigene Bevölkerung Ecuadors. Zwei Stunden spazieren wir im Partnerlook in unseren zwei flauschigen Wollpullis durch den Markt, vorbei an Ständen mit Teppichen, Perlenketten, die die Frauen zu ihren Trachten tragen, bunten Gürteln, bemalten Leinwänden. „Hunger!“, meldet sich der Nomaden-Mann. Ich deute zu dem Stand, an dem uns ein ganzes Schwein mit einem Apfel im Mund entgegengrinst. „Nein, danke!“, bekomme ich als Antwort. Und so landen wir bei den Obstständen des Marktes und decken uns mit den süßesten Kirschen und Erdbeeren ein. Als der Nomaden-Mann in die Tüte greifen will ermahne ich ihn: „Noch nicht!“
Ein Spaziergang auf 3722 Metern.
„Jetzt“, sage ich und schupfe dem Nomaden-Mann eine Kirsche zu. Doch plötzlich sind die Kirschen uninteressant. Fast starr steht er da und schaut auf die uns umgebende Landschaft, in die uns ein Taxi über holprige Straßen geführt hat. Nun ist keine Straße mehr in Sichtweite, kein Taxi und auch kein einziger Mensch außer uns. „Traumhaft!“, höre ich den Nomaden-Mann sagen. „Einfach nur traumhaft!“ Ich grinse, denn ich kenne dieses Gefühl bereits von Patagonien: Vor uns liegt die tiefblaue Laguna Grande, die größte Lagune der Lagunen von Mojanda. Wie ein Rahmen liegen grüne Hügel und spitze Vulkane um sie herum. Ich schaue mich um: Weit und breit nichts, außer hellgrüne Flächen, dunkelgrüne Sträucher, die dunkelblaue Lagune und schwarze Erde. Vor mir hüpft ein kleiner brauner Vogel über die Erde. Neben mir rinnt ein kleiner Wasserfall über den erdigen schwarzen Hang. Ich schaue in die Ferne, wo sich die Wolken über die Hügel in den Himmel ziehen. Hier ist man wahrlich dem Himmel am nächsten.
„Hi, I am Juan!“
Er holt seinen Sessel an das Bett, in dem er normalerweise schläft, welches er heute aber uns überlässt. Überall hängen Landkarten und Bilder von Ecuador an den Wänden, daneben ausgebleichte Fotos unterschiedlichster Menschen. Auf einer Wand neben dem Bett sind Post-its mit chinesischen Schriftzeichen. „Oh, du kannst chinesisch?“, frage ich den jungen Mann mit den dunklen Korkenzieherlocken vor mir. „I try!“, sagt er. „I want to go to China!“ Und nach nur zwei Minuten sind wir bei dem, was uns vereint: Reisen. Juan ist aus Otavalo, 21 Jahre alt, studiert Tourismus, liebt es zu Reisen und ist unser Couchsurfing Host. Ohne Couch und dafür sogar mit Doppelbett und Wifi. Eine Nacht werden wir hier in seinem Zimmer, im Haus und angrenzenden Restaurant seiner Familie, verbringen. „Sorry, dass ich keine Zeit für euch hatte“, grinst er uns von seinem Sessel aus an. „Lot of work.“ Gerade um die Weihnachtsfeiertage und zu Silvester läuft das Restaurant gut, erzählt Juan. Zum Glück. Denn durch den Bau des Panamerican Highway, der direkt vor der Haustüre verläuft, sind einige Gäste ausgeblieben. Der Highway war ja eine gute Idee der Politik, leider nicht immer zugunsten der Menschen, die ihre Grundstücke verlassen mussten oder jener Familie wie der seinen. Daher probiert der Familienbetrieb jetzt etwas anderes aus, sagt Juan im schönsten Englisch. Lieferservice auf Ecuadorianisch. Der ganze Innenhof ist voll mit Bottichen, in denen marinierte Truthähne, unter den Wäscheleinen mit frisch gewaschener Wäsche, auf den Ofen warten, um dann von ecuadorianischen Familien zum Familiendinner abgeholt und verzerrt zu werden. Frühstück gibt’s auch, sagt Juan, aber meistens kommen wenige Leute vorbei. Und trotzdem ist immer was los im Haus: Während Juans Mutter in der Küche steht, macht seine Tante im Innenhof den Abwasch, während Juan und seine Schwester im Service helfen, wenn sie nicht gerade eine ihrer Klassen auf der Uni belegen. Juan erzählt viel – vom Leben in Ecuador, dem Restaurant seiner Familie, seinen Träumen, Wünschen, seinen Plänen nach der Uni, von den Reisen, die er machen will. Wir erzählen viel – von unseren Reisen, unseren Plänen, dem Leben in Europa. Das ist das Schöne am Couchsurfing, denke ich mir und grinse zu Juan, man lernt Menschen kennen und sieht wie unterschiedlich das Leben hier und Zuhause ist. Doch trotz all der Unterschiede haben wir auch am Ende diesen Abends wieder eines gemeinsam: Ein Stück Geschichte.
Gabriele says
Wiedermal ganz tolle ReiseGeschichte, ich liebe sie jetzt schon!
Irina says
Die Ponchos sind ja super schön 🙂 Vor allem finde ich es cool, dass sie nicht komplett gleich aussehen (also vom Schnitt her), sondern jeder ein bisschen einen eigenen Stil hat. Südamerika ist wohl mein Favorite <3