„Jetzt sind wir da!“, sagt der Nomaden-Mann und strahlt heller als die Sonne hier am Äquator. „Kannst du es fassen?“ Ich schaue mich um. Die kleine Landebahn, die LATAM Maschine, aus der wir gestiegen sind, ein paar vereinzelte Kakteen. Der Flughafen vor uns besteht aus einem flachen, länglichen Gebäude mit großen Fensterfronten, welches anderenorts als mittleres Wohnhaus durchgehen würde. Ein kleiner gepflasterter Weg schlängelt sich von der Landebahn zum Gebäude durch die rote Erde. Ich schaue zu Boden und bleibe abrupt stehen: Eine kleine rotbäckige Eidechse sitzt vor meinem Schuh und schaut mich ob meiner Treistigkeit sich ihr in den Weg zu stellen verwundert an. In ihren kleinen schwarzen Augen spiegelt sich mein ebenso verwundertes Gesicht. Ich trete einen Schritt zurück und steige dem Nomaden-Mann fast auf die Füße. Langsam und mit Blick nach vorne setzt sich die kleine Echse in Bewegung. Der Nomaden-Mann schaut über meine Schulter. „Ist was?“, fragt er und schaut auf den leeren Steinboden. Der kleine Echsenschwanz ist bereits hinter einem Stein verschwunden ist. „Nein!“, grinse ich ihn an, „Willkommen auf Galapagos!“
Der etwas andere Gegenverkehr.
„Hab ich mir es so vorgestellt?“, frage ich mich, als ich aus dem kleinen Busfenster schaue: grüne Wiesen, Bananenstauden, Palmen, ab und zu eine Holzhütte oder ein Häuschen, aber kaum ein Mensch auf der Straße und schon gar keine Tiere. „Bewohnter als gedacht“, flüsterte ich vor mich hin. Obwohl ich wusste, dass Santa Cruz eine der bevölkerungsreichsten Hauptinseln ist bin ich verwundert, über das „ganz normale Leben“ hier. Ein Auto zieht auf der Nebenfahrbahn an uns vorbei. „Was hast du denn eigentlich gedacht, Kerstin?“ ärgere ich mich über mich selbst, „dass hier keiner lebt? Keine Auto fährt? Nur Tiere auf den Straßen herummarschieren?“ Ich schüttle über mich selbst den Kopf, als mich der Nomaden-Mann plötzlich anstupst. „Gesehen?“, fragt er mit offenen Mund. „Was?“, sage ich und reiße meinen Blick von den vorbeifahrenden Auto los. Erst jetzt bemerke ich wie langsam es geworden ist. „Da!“, sagt der Nomaden-Mann nochmal und deutet auf die Scheibe. Das entgegenkommende Auto stoppt. Ich sehe wie mein Spiegelbild große Augen bekommt und an den Straßenrand blickt, an dem eine Riesenschildkröten gemächlich in Richtung Fahrbahnmitte flaniert. In unserem Bus zucken 30 Paparazzi ihre Smartphones und Kameras. Auch ich. Als der Bus den tierischen Verkehrsteilnehmer hinter sich lässt und die Fotoausbeute gleich 0 war, schnaufe ich. „Mist!“ Der Busfahrer, ein junger Mann, dreht sich um. Er grinst. „This is Galapagos! It won’t be your last chance!“
Restaurantbesuch zu 3.
„Recht viel los hier!“, sage ich zum Nomaden-Mann, als wir auf der Suche nach Essen durch Puerto Ayora, dem Hauptort der Insel Santa Cruz, in dem wir für 4 Tage einquartiert sind, marschieren. An der Straße neben uns blinken die Barreklamen und klirren die Cocktailgläser der Touristen. Mojito: 9 Dollar. Wein: 7 Dollar. Fang des Tages: 18 Dollar. Pasta: 18 Dollar.Ich sehe unsere Geldbörse vor meinem inneren Auge verhungern. Bei Preisen, die dreimal so hoch wie am Festland sind, möchte man sich das Gläschen Vino und die Nahrungsaufnahme generell abgewöhnen. „Vielleicht das?“, der Nomaden-Mann deutet auf ein Lokal auf der anderen Straßenseite. Ich höre die Visa Karte aufschreien. „Nein! Schaut zu teuer aus.“ Wir marschieren weiter. Zwei Souvenirläden und ein Nobelhotel später, ein neuer Versuch. „Und das?“ Ich schaue auf die andere Seite, doch mitten auf der Straße bleibt mein Blick hängen. Ein riesiger Landleguan schleppt sich träge über den Zebrastreifen in Richtung des Lokals, hievt seinen hängenden Bauch mit seinen kurzen Füßchen über den Randstein des Gehweges und bleibt erschöpft mitten im Eingang des Lokals liegen. Ich schaue auf das kleine Restaurant ohne schreiende Reklametafel, dafür mit süßer Dachterrasse. Der Leguan hat es sich mittlerweile sichtlich gemütlich gemacht und lässt seine kurzen Beinchen vom Gehweg baumeln. „Und?“, fragt der Nomanden-Mann, ohne den tierischen Gast mit einem gewissen Sicherheitsabstand aus den Augen zu lassen. Ich grinse. „Scheint zumindest tierisch gut zu sein!“
Auf Tuchfühlung mit anderen Welten.
„Jump!“, ruft es hinter mir und ich falle mehr vor Schreck als zu Befehl in das tiefe Blau. Als mich das Meer auffängt, schreie ich auf. Meine Zähne beginnen augenblicklich auf den Plastikschnorcheln in meinem Mund zu beißen. Ich schaue zum Boot, wo der Nomaden-Mann auf seinen Einsatz wartet. „Und?“ formt er mit seinem Mund. Ich gebe ihm ein Daumen hoch und strample mich – bis sowohl der Nomaden-Mann, als auch die anderen Bootsgäste im Wasser sind – warm. An den Felswänden der unbewohnten Isla Pinzon beobachten mich die blauen Füßchen der Blue Foot Boobies, die man nur auf den Galapgosinseln findet, argwöhnisch an. Plötzlich klatscht etwas neben mir ins Wasser. Ich drehe mich um: ein riesiger Pelikan ist auf der Suche nach Futter vom Himmel gefallen. Sein langer Schnabel ist keinen Meter von mir entfernt.
„Vamos!“, sagt Karla – unser Guide – und winkt die zitternde Gruppe zu sich. „First rule: Don’t move to fast. Second rule: Don’t get to close. Third rule: Stay together.“ Alle Schnorcheln wippen. „Ok, then have fun, guys!“ Sie taucht unter. Ich schaue den Nomaden-Mann an, er mich – und gleichzeitig senken wir unsere Köpfe und tauchen uns – an den Händen haltend – ein in eine andere Welt: Das Wasser ist so klar, dass ich sie sofort sehe: Wie ein schwebender Stein steuert sie auf uns zu. Ich drücke die Hand des Nomaden-Manns und murmle „Schildkröte“ in meinen Schnorchel. Auf ihrem Panzer ist ein feiner Algenfilm, an dem sich ein kleiner Fisch labt. Sie schaut mich mit ihren schwarzen Augen an, als würde sie unseren Besuch registrieren. Ich drehe mich zum Nomaden-Mann und plötzlich sehe ich sie. Sie sind überall. Auf jeder Seite eine Schildkröte. Wie ein Begleitschutz kesseln sie mich und den Nomaden-Mann ein und begleiten uns auf unserem Weg durch ihr Element. Plötzlich höre ich es neben mir Kluckern. Zwei aufgerissene Nomaden-Mann Augen schauen mich hinter der Taucherbrille an. Ist das Panik? Ich versuche den Gesichtsausdruck zu deuten. Anspannung? Er drückt meine Hand. Zu fest für normale Aufregung. Ich schaue mich um. Unter uns ist der steinige Boden sandiger geworden. Wieder drückt er meine Hand. Ein bisschen weniger fest diesmal. „Was will er mir sagen?“, frage ich mich, als er mir plötzlich mit seinem ausgestreckten Finger die Antwort präsentiert: direkt unter uns liegt eine schlafende Familie von Riffhaien. Würde ich meine Hand ausstrecken, könnte ich sie berühren. Ich beiße auf meinen Schnorchel und schmecke das Plastik in meinem Mund. Während sich mein Puls unaufhaltsam beschleunigt, versuche ich meine Bewegungen zu entschleunigen. Nicht zu viel strampeln, ermahne ich mich und schaue auf die unter mir ruhenden Tiere, die erst in der Nacht auf Futtersuche gehen werden. Und so rasten der Nomaden-Mann und ich eine Runde – mit Riffhaien auf Galapagos.
Verstecken spielen einmal anders.
Es rattert, als der Anker des Bootes am Grund der kleinen Bucht ankommt. „Last stopp!“, sagt Karla. „You can do whatever you like! Just enjoy!“ Ich grinse den Nomaden-Mann, noch immer euphorisiert von unseren tierischen Bekanntschaften an und hüpfe ins Wasser – diesmal ohne Schnorchel – als plötzlich ein schwarzer Kopf neben mir aus dem Wasser taucht. Ich blinzle auf die Wasseroberfläche. Diesmal taucht eine schwarze Flosse aus dem Wasser, als würde sie mir winken. Ich mache einen Schritt auf die schwarzen Flecke im Wasser zu. Sie verschwinden. Ich schaue mich um. Weg. Plötzlich sind sie wieder hinter mir. Noch bevor ich dort bin, sind sie wieder weg. Ich schaue mich verwirrt um. Der Nomaden-Mann steht mittlerweile neben mir und schaut ebenso verwirrt aufs Wasser, als plötzlich vor uns zwei Baby-Seerobben auftauchen und kichernd ihre Köpfe zusammenstecken, als würden sie sich über die zwei verwirrt dreinschauenden, bleichen Zweibeiner amüsieren. Mit einer Flosse klatschen sie auf die Wasseroberfläche und zischen dann an unseren Beinen vorbei und jagen sich und unsere Blicke durch das Wasser, als würden sie mit uns verstecken spielen.
„Und?“, fragt mich der Nomaden-Mann, als wir nach der Spielstunde an Deck des Bootes sitzen und auf den weiten Ozean schauen, der uns heute so viele neue Eindrücke geschenkt hat. „Kannst du es fassen?“ Ich schaue auf die immer kleiner werdende Isla Pinzon hinter mir, die größer werdende Isla Santa Cruz vor mir. Ich hole mir die Bilder aller neuen Bekanntschaften, aller neuen Eindrücke zurück. „Nein“, antworte ich dann ehrlich. „Es ist unfassbar.“ Unfassbar schön.
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