Sam Smith säuselt in mein rechtes Ohr. Ich lehne meinen Kopf an die Schulter des Nomaden-Manns, schließe die Augen und höre in mich hinein. Ruhe. Nur Sam, der Nomaden-Mann und ich. Die Entspannung auf den Galapagos Inseln, das Urlaubsgefühl und das längere Verweilen an einem Ort hat meinem unruhigen Reisegeist gut getan. Ich bin seit fast 4 Monaten unterwegs, war nie länger als eine Woche in einer Unterkunft. Jeden zweiten Tag in einem anderen Hostel, einem anderem Bett, an einem anderen Ort, in einem anderen Klima. Jeden Abend in einem anderen Lokal essen, in einem anderen Café frühstücken. Jeden Tag hab ich neue Menschen kennengelernt und andere verlassen. Ich atme tief ein und das Schwarz vor meinen Augen wird plötzlich orange bis lila, wie der Sonnenuntergang vor der Isla Isabela. Sam Smith singt leiser, während die Sonne in meinem Kopf untergeht. Der Bus ruckelt und lässt Sam aus meinem Ohr rutschen. Ich schaue aus dem Fenster: Drei Backpacker sitzen mit ihren Rücksäcken auf den Stufen vor dem Haus, daneben ein Leinenhosen-tragender und Freundschaftsbänder-knüpfender Mittvierziger mit langen Haaren. Aus der schmalen Gasse gegenüber der Busstation walzen sich die Klänge der Clubs durch die Straßen und erreichen mich und den Bus mit einer Wucht, die die Busscheiben zum Beben bringt. Ich schaue zum Nomaden-Mann und ziehe ihm belustigt das Kabel aus dem Ohr. „Genug von der Ruhe“ rufe ich, …
Willkommen in Montañita!
„Happy Brownie?“ Ein zotteliger Mann mit Bart, weiten Hosen und ohne T-Shirt hält uns einen Bastkorb voller Brownies hin. Er grinst breit. Ich schüttle den Kopf, grinse – weniger breit – zurück. „Cocktails?“ Ich drehe mich um. In der kleinen Gasse reiht sich ein Straßenstand mit Plastikbestuhlung davor an den nächsten. „Just 2 Dollar. Long Island, Mojito, Sex on the Beach“ Ich schaue auf mein Handy. 14 Uhr. Vielleicht – nein, ziemlich wahrscheinlich – später. Zwei Meter weiter sitzt eine Frau mit Dreads auf dem Boden, vor ihr eine Auswahl an selbstgemachten Ketten und Armbändern. Keine 5 Meter entfernt, nach einem Ceviche Karren, einem Fruchtsaft-Stand und einem auf einer Gitarre zupfenden, sich in Trance bewegenden, Lockenkopf, bekommen wir in gutem Englisch eine „habitacion“ angeboten. Danke, haben wir schon. Ich grinse in mich hinein, als wir weiter durch die Straßen flanieren, vorbei an Surferboys mit Waschbrettbauch, Partygirls in Miniröckchen und jungen Hippies mit Blumenketten im Haar. Ich zitiere in meinem Kopf den Lonely Planet: „So manche Traveler schlagen hier Wurzeln und verlegen sich aufs Flechten von Zöpfen, das Herstellen von Schmuck oder die Arbeit als Portier am Empfang ihrer Pension.“ Ich schaue mich um. Dem ist wahrlich nichts mehr hinzuzufügen.
Paddeln, Paddeln, Paddeln, Now!
„One!“ Ich schaufle mit meinen Händen den Sand seitlich von mir weg, sodass meine Finger dünne Linien erzeugen. „Two!“ Ich stelle meine Zehenspitzen auf und spanne meinen Bauch an. Ich muss bereit sein. Nicht vergessen nach vorne zu schauen. „Three!“, sagt Bamboo dann und ich springe wie auf Kommando vom Boden auf, ziehe meine Füße zurecht, richte meinen Blick nach vorne und lande breitbeinig und mit gebeugten Knien vor ihm, die Arme von mir gestreckt. Neben mir wirbelt der Nomaden-Mann den Sand auf, als er in der gleichen Pose landet. Bamboo, ein dickbäuchiger Ecuadorianer, der eigentlich John heißt, grinst uns an, blickt wie Meister Yoda auf die vor im gebeugten Schüler hinab und sagt dann feierlich: „You are ready now.“ Nur dass er uns statt einem Lichtschwert ein Surfbrett in die Hand drückt.
Als ich ins Wasser stampfe, schauen die Wellen viel größer aus, als von dem sicheren Liegestuhl am Strand, von dem aus ich den Plan eines Surfkurses gesponnen habe. Bamboo scheinen die Wellen nicht zu beeindrucken und er weist mich an, mich aufs Brett zu legen. Ich hieve mich über die nächste Welle hinweg auf das Brett, mit Blickrichtung zum Strand. Nervös drehe ich meinen Kopf nach hinten und werde prompt ermahnt: „Look to the beach. Just listen.“ Ich lausche und höre sie plötzlich kommen. Mein Körper verkrampft sich ohne dass ich etwas dazutue, als ich plötzlich Bamboos Stimme höre, die über das Rauschen der Wellen spricht: „Paddel slowly!“ Ich beginne das Wasser an mir vorbeizuschieben und spüre wie sich das Brett in Bewegung setzt. „More paddel!“, höre ich entfernter und drücke das Wasser fester von mir. Ich schaffe drei Kraulbewegungen, als es hinter mir plötzlich so laut wird. „NOW!“, höre ich die Welle mit Bamboos Stimme sagen und springe auf, richte den Blick nach vorne, ziehe die Arme hoch und gehe in die Knie. Höre ich mein Blut so laut rauschen oder ist es die Welle unter mir, auf der ich gerade surfe? Ich schaue auf meine Füße, das Brett, den Strand vor mir und weiß plötzlich wieder, was das Gefährlichste am Surfen ist: Nicht mehr aufhören zu können.
Ein doppelter Abschied.
Wieder lehne ich meinen Kopf an die Schulter des Nomaden-Mannes, wie ich es jetzt bereits seit 6 Wochen mache, in denen wir gemeinsam durch Südamerika reisen und blicke ein letztes Mal auf die sandigen Straßen des verrückten Montañitas. Auf die bunten Straßenstände, die von der langen Partynacht übergebliebenen Nachtschwärmer, die sich mit Ceviches und Encebolladas über den Kater retten und die mit ihren Boards marschierenden Surfer auf ihren Weg zu ihren Dates mit den Wellen. Der Bus startet und als die Klänge von Montanita verschwinden, greife ich nach der Hand des Nomaden-Mannes, auf der nicht nur unsere Liebe, sondern auch Montanita Spuren hinterlassen haben.
Als ich das Gebäude verlasse, sind meine Augen erst gerade wieder getrocknet, doch schon merke ich wie sie sich wieder füllen. „Nicht weinen“, sagt der Nomaden-Mann neben mir und nimmt meine Hand. Ich ermahne mich und meine Augen, die – seit wir Montañita hinter uns gelassen haben – ein Eigenleben entwickelt haben. „Abschiede sind Arschlöcher!“, sagt der Nomaden-Mann neben mir – und als wäre das ein Kommando, beginnen schon wieder die Tränen über meine Wangen zu rollen, während ich all die schönen Momente der letzten 6 Wochen vor mir sehe: Unseren holprigen Start in Chile, das Weihnachtsfest bei einer ganz tollen Familie, Silvester in Quito, Mountainbiken auf Vulkanen, Abenteuer im Dschungel, chillen im Paradies, das gemeinsame Einschlafen, gemeinsames Kochen oder Essen gehen, das Teilen von Reiseerlebnissen. In den letzten Wochen habe ich gemerkt wie schön es ist, jemanden beim Reisen an seiner Seite zu haben. Jemanden zu haben, mit dem man sein Doppelzimmer teilt und nicht schräg angeschaut wird. Jemanden zu haben, mit dem man über die anderen Tourteilnehmer lästert. Jemanden zu haben, mit dem man die Reiseroute plant, der auf den Rucksack aufpasst, wenn man aufs Bahnhofsklo muss, der sich mit einem im Bus beim Schlafen abwechselt. Der mit einem beim Abendessen plaudert, mit dem man über südamerikanische Verdauungsprobleme reden kann, ohne im Boden zu versinken und der einem am Abend trotzdem in den Arm nimmt und mit einem einschläft. Als ich in das Taxi steige, welches mich zum Busbahnhof bringen soll, weine ich noch immer. Im Rückfenster sehe ich den Nomaden-Mann vor dem Flughafen immer kleiner werden. Und plötzlich realisiere ich wieder einmal, was ich auch bei diesem Abschied wieder zurücklasse: Meine liebste Reisebegleitung, den besten Gesprächspartner, meinen Partner-in-crime, mein Kuscheltier, meinen Ruhepol, meine große Liebe und mein Zuhause.
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