Als sich der Bus in Bewegung setzt, schaue ich auf den Platz neben mir. Eine junge Ecuadorianerin grinst mich mitleidig an. Um meinen Tränen zuvor zu kommen, grinse ich sie an und versuche den Stich in meinem Herzen, den mir das Fehlen des Nomaden-Mannes und seiner Bus-Schulter verursacht, wegzulächeln. „Where are you going?“, fragt sie mich. „Cuenca.“, sage ich. Sie sei aus Cuenca, studiere aber in Brasilien. Motiviert zieht sie ihr Smartphone aus der Tasche, die sie sicher auf ihren Schenkeln platziert hat, und beginnt mir Bilder zu zeigen: Die bunten Blumen am Plaza de Flores, die Marktstände, die Kirchen. Zwischen ihren Sätzen denke ich, dass ich ganz vergessen habe, wie schön es sein kann, auch mit anderen Menschen interessante Gespräche zu führen und wie leicht es manchmal sein kann, als Alleinreisende mit anderen ins Gespräch zu kommen. Manchmal reichen sogar glasige Augen. Ich grinse in mich hinein und während es draußen immer dünkler wird, wird meine Stimmung immer heller. Bis der Bus plötzlich abrupt stoppt…
„Nicht lächeln, bitte!“
Ich schaue aus dem Fenster und sehe nichts, so dunkel ist es. Erst nachdem das Gespräch mit meiner Sitznachbarin durch die abrupte Bremsung des Buses ebenso abrupt abgerissen ist, merke ich wie dunkel es auch im Bus ist. Nur die Punkte am Fußboden flackern schwach wie Glühwürmchen in der Nacht vor sich hin. Zwei Minuten passiert nichts, dann geht die Türe auf und das Licht an. Ich zwinkere dem hellen Buseingang entgegen und erkenne zwei Gestalten mit ausgebeulten Gürteln, Kappen. Eine Taschenlampe leuchtet mir entgegen. Polizisten, sagt mir mein Kopf. Während ich noch kombiniere, fordern die zwei jungen Männer alle Männer auf aus dem Bus zu steigen. Ich drehe mich verwirrt zu meiner Sitznachbarin. Sie grinst nicht mehr und zuckt die Schultern. „Ist das normal?“, frage ich sie. „No.“, sagt sie kurz angebunden. Ich schaue mich um: Im Bus sitzen nur mehr 3 Frauen und ein kleiner Junge. Ich klebe meinen Blick auf die dunkle Lehne des Vordersitzes. Eine Minute. Zwei Minuten. Zehn Minuten. Ich schaue auf mein Handy. 20 Uhr, kein Empfang. Der Nomaden-Mann sitzt im Flugzeug. Zuhause in Wien schlafen sowieso bereits alle. Draußen zieht der Nebel über die Anden. Wieder geht das Licht an. Diesmal ist es neongelb im ganzen Bus. Mit dem Licht ist auch der ältere der beiden Polizisten mit seiner Taschenlampe zurückgekehrt. Sorgfältig beginnt er alle Stauräume, über und unter den Sesseln abzuleuchten. Als er bei mir angelangt ist, tippt er mit seinen schwarzen Stiefeln auf meine Schuhe. Ich hebe die Füße und der Lichtstrahl der Taschenlampe schießt unter meinen Sitz. Meine Sitznachbarin tut es mir gleich und fragt den Polizisten beiläufig nach dem Grund der Durchsuchung. Raue, spanische Wortfetzen fliegen an mir vorbei. Überfälle, Banden, Tipp bekommen, Großdurchsuchung aller Busse. Meine Sitznachbarin nickt, als der Polizist weiter geht. „Ist das normal?“, frage ich erneut optimistisch. „Nein.“, sagt sie und schüttelt sachte den Kopf. Als der Polizist bei der letzten Reihe angelangt ist, kommt der zweite Polizist in den fast leeren Bus. „Ausweise!“, sagt er laut. Die junge Frau neben mir kramt nach ihrem Personalausweis. Ich fische meinen Pass aus der Tasche und halte ihn dem Polizisten unter die Nase. Er schaut auf das Foto des 24-jährigen Mädchens mit dunklen, kurzen Haare. Ich versuche zumindest das Nichtlächeln meines Passes nachzustellen und schaue ihn ernst an. Er wendet meinen Pass. „Wer ist sie?“, fragt er meine Sitznachbarin, deren Ausweis er keines Blickes würdigt. „Eine Touristin.“, antwortet sie. „Kennst du sie?“, hakt er nach. Ich verfolge das Gespräch wie ein Ping-Pong Spiel. „Nein, gerade erst getroffen.“ „Wo ist ihr Ausweis?“ „Das ist ihr Ausweis. Sie ist nicht von hier.“ Er schaut wieder auf das Foto im Pass. „Vale!“ Der Ball ist wieder bei mir. Er drückt mir den Pass in meine feuchten Hände, aus denen er wie ein 1000 Kilo Stein auf den Boden fällt. Als ich mich bücke, sehe ich die ersten Männerschuhe den Bus betreten. Langsam füllen sich die Reihen. Die zwei Polizisten haben am Buseingang Posten bezogen und warten bis auch der letzte Mann an seinem Platz ist, bevor der eine von ihnen ein Handy aus der Tasche zieht und etwas auf spanisch sagt. Bevor ich es in meinen Kopf übersetzen kann, marschiert der junge Polizist so los wie ich, wenn ich eine Videoaufnahme durch die Straßen einer Stadt mache. Langsam schwenkt er die Kamera von Gesicht zu Gesicht, Reihe für Reihe, von einem gelangweilten zum nächsten müden Gesicht. Mein Herz beginnt zu klopfen, wie jedes Mal wenn ich nicht weiß, wie ich dreinschauen soll. Bei jeder Passkontrolle, obwohl ich diese ja mittlerweile gewohnt sein sollte, fühle ich mich wie vor einer Mathematikprüfung. Zwei Reihen noch. Meine Gesichtsmuskeln beginnen zu zucken, versuchen zu Lächeln, ein ernstes Gesicht, einen teilnahmslosen Blick. Eine Reihe noch. Alles fühlt sich falsch an und so schaue ich einfach auf die schwarze Lehne des Vordersessels. „Not smile!“, sagt der Kameramann in schlechtem Englisch und ich schaue direkt in die Kamera. Wie gut, dass mir zu Lachen mittlerweile auch nicht mehr zumute ist.
Die Nonnen, ein Backpacker & das Luxusmäuschen.
Ich schaue mich auf dem Platz vor der neuen Kathedrale von Cuenca um und suche nach einem Mann im weißen T-Shirt und grauer Kappe. Eine Frau mit langem Zopf und buntem Kichwa Rock spaziert gebückt an mir vorbei, auf ihrem Rücken: ein riesiger Sack Mais. Ein junger Mann in Jogginghose hinter ihr. Eine Nonne. Danach eine junge Frau im eleganten Anzug. Ich verdrehe innerlich die Augen und vermute, dass mich dasselbe Schicksal wie am Tag zuvor ereilt: Keine Free Walking Tour. Grund unbekannt. Als mich plötzlich ein junger „Gringo“ neben mir anredet: „Kommst du auch zur Free Walking Tour?“ Ben ist aus Köln, ist beruflich viel in Südamerika unterwegs, spricht gutes Spanisch, reist für 3 Wochen durch Ecuador und will, wie ich, zur Tour durch Cuenca. Nach der für Südamerika obligatorischen Verspätung erscheint ein dünner Knirps in weißem Shirt und grauer Kappe und begrüßt mich und Ben zur gratis „Privatführung“. 20 Minuten verspätet starten wir mit unserem Spaziergang durch die Stadt mit 52 Kirchen.
„Wisst ihr was das ist?“, fragt Cristian, unser Guide. Er deutet auf eine dunkle, verschlossene Holztür und einem Fenster in der weißen Wand mit hölzernem Rahmen, vor dem gerade eine Frau steht. Im Fenster ist kein Glas, sondern ein dunkler Vorhang, hinter dem leise gemurmelt wird. Ich erinnere mich an meinen ersten Kontakt mit einem Beichtstuhl, nur dass die Frau vor dem Beichtstuhl plötzlich ein paar Dollarscheine aus ihrer Tasche zieht. Ich schaue Cris verwirrt an, er grinst, und beginnt zu erklären: In diesem Klostereingang, vor dem wir stehen – er deutet zu der Türe – leben Nonnen, die dieses Gebäude nur einmal im Jahr und dann nur vollkommen verhüllt, verlassen dürfen. Hinter der Tür, wieder deutet er auf die verschlossene, massive Holztüre, wird aber etwas ganz besonderes erzeugt. Ich schaue zum Beichtfenster: Mitten aus der Dunkelheit hinterm dem Fenster, schiebt sich eine kleine, faltige Hand durch den Vorhang. Sie hält etwas, was ich nie hier vermutet hätte. „Wein“, sagt Cris – im Einklang mit meinen Gedanken, während die Frau mit einer Weinflasche unter dem Arm aus dem Kloster spaziert.
Wir spazieren weiter, kehren am Mercado 10 de Agosto ein, trinken einen Kokossaft, essen Bolones – Knödel mit Fleisch – und Maisfladen, wandern entlang an einem der fünf Flüsse, die Cuenca den Namen gaben, vorbei an kleinen, alten Incaruinen, kolonialen Bauten und verschiedensten, großen und kleinen Kirchen für jeden Anlass und jeden Heiligen, den es zu verehren gibt. „Übrigens“, fragt mich Ben am Ende der Tour, als wir gerade vor einem Geschäft für die berühmten „Panamahüte“, die eigentlich aus Ecuador kommen, stehen, „in welchem Hostel bist du denn?“ Ich sage ihm den Namen des Hostels und er fragt mich wie es denn ist und mit wievielen Leuten ich im Zimmer bin. Ich schaue auf den weißen, teuren Hut in der Auslage. „Alleine.“ sage ich, „ich bin zu alt für Schlafsäle.“, umscherze ich die Wahrheit. Ben reißt seinen Kopf herum. „Waaaas?“ In seinem Gesicht: Entsetzen. „Wie bitte reist du denn sonst alleine? “ Ich schaue ihn überrascht an. „Das macht doch Backpacking aus. Wie lernst du denn sonst Leute kennen?“ Mein Blick beginnt zu entgleisen. Ich konzentriere mich. „Ich brauche meine Ruhe beim Schlafen. Und ein eigenes Bad ist schon super.“ Ich ärgere mich über meine Rechtfertigung. Ben schüttelt den Kopf. „Ach was, wer braucht ein eigens Bad?“ Ich rufe ich innerlich! „Das ist doch cool ein Bad zu teilen.“ Nein, schreit meine Blase, die jedes Mal in der Nacht aufs Klo muss. „Außerdem findest du immer so coole Leute, mit denen du feiern kannst. In Montañita zum Beispiel…“ Ich sage ihm jetzt nicht, dass ich in Montañita mit dem Nomaden-Mann nach zwei Cocktails im Bett war. „Nach so langer Zeit unterwegs…“ beginne ich und will sagen, dass es nach so langer Reisezeit irgendwann auch anstrengend ist zu Reisen. Jeden Tag woanders zu sein, dauernd mit neuen Menschen, an neuen Orten. Das Reisen hat mich erschöpft. Aber ich beiße mir auf die Zunge.“Also ich könnte ja ewig rumreisen! Ich werde es nie satt!“ Er grinst. „Was war denn deine längste Reise?“, frage ich. „Ein Monat!“ Ich lächle matt und erinnere mich daran, dass ich auch genau diesen Satz mal gesagt haben könnte. „Hab ich auch mal gesagt…“, fange ich an, doch Ben unterbricht mich: „Ne wirklich. Ich könnte das.“ Es geht nicht mehr anders: ich drehe mich um und verdrehe die Augen, so stark, dass ich mich fast selbst wundere, dass sie nicht, wie von der Nomaden-Mutter immer angedroht, steckenbleiben. „Aber du bist ja schon ein richtiges Luxusmäuschen.“, höre ich Ben plötzlich hinter mir sagen. Ich drehe mich um und schaue ihn überrascht an. Luxusmäuschen? Weil ich es satt habe mit Oropax zu schlafen? Weil ich gerne 20 Minuten unter der Dusche stehe und keine Lust habe, mich bis 4 Uhr früh in Clubs zu betrinken? Vor kurzer Zeit hätte ich noch viel getan um das Gespräch mit ihm, alleine in einer Stadt die ich nicht kenne, aufrecht zu erhalten, um vielleicht am Abend auf ein Bier zu gehen, was zu Essen, Kontakt zu haben. Heute schaue ich ihn nur an und sage grinsend: „Ciao.“ Als ich mich umdrehe und alleine zurück in mein Hostel gehe weiß ich, dass ich heute 30 Minuten duschen, im Pyjama durch das Zimmer tanzen und mich so richtig in meinem Doppelbett ausstrecken werde. Ganz Luxusmäuschen eben!
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