„Und wie ist es wieder Zuhause zu sein?“, fragt mich ein Freund und schaut mich mit großen Augen an. „Stell ich mir schwer vor!“, schiebt er nach. Meine Gedanken ziehen sich in meinem Kopf zurück. Ja, wie ist es denn eigentlich nach 6 Monaten Auszeit wieder „Zuhause“ zu sein?
Alles ist gleich. Nur ich bin anders.
Es ist 7 Uhr, als ich die Augen aufmache. Verwirrt schaue ich mich um: Das Bett, mein Lieblings-Bettnachbar, mein gelber Lieblingssessel, der in der Ecke steht, meine erste Frida Kahlo Postkarte, die von der Wand grinst. Alles ist bekannt und doch fühlt es sich mittlerweile so unbekannt an. Ich schiebe meinen Fuß aus dem Bett und wandere ins Badezimmer. Auf dem Weg dort hin stolpere ich über meinen Schreibtischsessel, der schon seit einem Jahr an seinem Platz steht, stoße mir die große Zehe an der Bodenkante im Vorraum und drücke dreimal den falschen Lichtschalter im Badezimmer. Die Zahnpasta steht, wo sie immer stand. Mit der Zahnbürste im Mund schaue ich etwas später in den Spiegel: Alles schaut gleich aus um mich, sogar ich schaue (fast) gleich aus – und trotzdem fühlt sich alles so anders an.
Nichts und gleichzeitig Alles.
„Was hast du heute vor?“, fragt mich mein Handydisplay per WhatsApp. Buh. Was habe ich denn heute vor? Ich öffne die Nachricht vom Nomaden-Mann, der bereits in der Arbeit ist, und beginne zu tippen: „Nichts.“ Ich habe nichts vor. Ich kann einfach mal „Nichts“ und „Alles“ gleichzeitig tun. Das konnte ich noch nie, schießt es mir durch den Kopf. Seit dem Studium bin ich am Arbeiten, Studieren, Lernen,… Ich war noch nie „einfach so“ Zuhause. Zwei Minuten später habe ich zwei Dates, drei Einladungen und vier To-Dos in meinem nicht mehr vorhandenen Terminkalender. Trotz „Nichts“ zu tun, wird mir nicht langweilig.
Auf dem Weg zu dem Treffen mit einer Freundin beschließe ich zu Fuß zum vereinbarten Treffpunkt zu laufen. Nichts macht mir, seit ich wieder zurück bin, mehr Freude, als durch Wien zu laufen, die Häuser zu bestaunen, den Menschen zuzuhören und die „Wiener Besonderheiten“ zu belächeln. Ich wundere mich über die gut sortierten und an jeder Ecke auffindbaren Supermärkte, für deren Suche ich in Südamerika ewig gebraucht habe, lache über die leeren U-Bahnen von Wien, während ich an das morgendliche Kuscheln in Buenos Aires denke. Ich schlängle mich durch die Menschentrauben vor den Bussen und wünsche mir die argentinische Ordnung in Form der Bus-Einser-Reihe her. Ich bestaune die sauberen Straßen, grinse in mich hinein, als der Postler mich im Stiegenhaus mit einem Wiener „Grüß’ina Fräulein“ begrüßt und spüre mein Herz beben, als ich den lang ersehnten „Spritzer“ am Donaukanal bestelle. Wien, ach wie sehr ich dich vermisst habe.
Und dann kommt alles anders als man denkt.
„Wie wird das wohl werden? Nach 6 Monaten wieder zurück in meinem Job?“, frage ich mich am Weg zu dem Treffen mit meiner Chefin. Mein Magen schlägt Purzelbäume. Wieder jeden Morgen ins Büro fahren, wieder gewohnten Prozessen folgen, wieder in mein Team kommen. Wird es mir leicht fallen, wieder jeden Tag an einem Schreibtisch zu sitzen? Werde ich schnell wieder in die gewohnte Tätigkeit hineinfinden? Oder hat mich die Reise so verändert, dass ich in das gewohnte Konstrukt nicht mehr hineinpasse? Ich sehe mein Patenkind vor mir, wie er als Baby versucht hat den grünen Plastikwürfel in das runde Loch seines Spielzeugs zu drücken. Schon während meiner Reise ist mir aufgefallen, dass ich mehr Kanten bekomme. Dass ich aus dem Kreis – dem“Business“, dem Konzernleben, dem gelernten Gejammere und den politischen Machtspielen schneller ausgebrochen bin als ich dachte. Ich erinnere mich an Telefonate mit dem Nomaden-Mann, bei dessen Alltags-Geschichten aus dem Großkonzern ich die Augen verdreht und mir gedacht habe, wie er sich über so etwas bloß ärgern kann, während die Menschen im Iran, in Indonesien, in Ecuador oder Kolumbien froh sind, wenn sie ein Dach über dem Kopf haben. Ich erinnere mich an das Kribbeln in meinem Bauch, als mir Alex im Iran von seinem Job beim Französischen Roten Kreuz im Irak erzählt hat. Als ich die Türe von meinem alten Job öffne denke ich an den Anruf und meine Entscheidung von letzter Woche. Eine Entscheidung, die ich so lange aufgeschoben habe und für die es eine Weltreise und 6 Monate brauchte zu reifen.
Als ich eine Stunde später das Büro verlasse, sind meine Wangen feucht. Wieder ist alles anders: Wegen der Entscheidung die Liebe meines Lebens zu heiraten, soll ich nicht mehr in meinen Job, in mein Team, an meinen Arbeitsplatz zurück. Innerhalb von einer Stunde verändert sich der letzte Rest, der mir noch bekannt vorkam: Ein neues Team, ein neuer Arbeitsplatz, ein neuer Job. Als ich an diesem Tag mit dem Nomaden-Mann durch die dunklen Straßen wandle um meinen Kummer abzugehen, überschwemmen mich Enttäuschung, Traurigkeit und Angst. „Es ist nur eine weitere Veränderung“, sage ich mir. Und wenn ich eines auf meiner Reise um die Welt gelernt habe, ist es, dass Veränderungen nicht leicht sind, aber dass es ohne sie kein Weiterkommen gibt.
Alles wird gut. Nein, alles wird besser.
Die ersten Wochen sind hart. Ich bin dauermüde. Der neue Job, bei dem ich täglich so viel lerne, so viele neue, tolle Persönlichkeiten kennengelernt habe, der wieder eingekehrte Alltag und meine neu begonnene Ausbildung. Erschöpft falle ich nach einem Wochenende, bei dem ich ganz viel über die Kraft der Gedanken gelernt habe, in mein Bett. Mein Kopf schwirrt. Ich denke an die Geschichte des alten Mannes und seines weißen Pferdes, die ich heute gehört habe. Ich denke an all die „Unglücke“, die in meinem Leben schon passiert sind – an meine Krankheiten, die schmerzvollen Trennungen, die Enttäuschungen. Und wieder mal bestätigt mir das Leben:
Ob es ein Unglück ist oder ein Segen weiß ich nicht, weil ich nicht weiß, was darauf folgen wird.
– Das weiße Pferd –
Und,… ?
„… wie ist es jetzt wieder Zuhause zu sein?“, fragt er mich wieder und schaut mich wieder erwartungsvoll an. „Anders“, sage ich. „Aber gerade deshalb so wunderschön!“
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