Die bunten Hausfliesen reflektieren die Sonne und in der Ferne höre ich das Rattern der alten Straßenbahn, die sich quietschend durch die Stadt schiebt. Der gekachelte Boden ist so uneben wie die Stadt selbst: Täler und Berge aus weißem und grauen Granit. Ein Windzug fährt durch die Gasse vor mir und löst ein Meer aus Wellen aus, welches sich durch die Lacken und Kleider zieht, die an den kleinen Klopfbalkonen hängen. Ich grinse in mich hinein. Lissabon. Genauso hab ich mir dich vorgestellt.
„Wer Lissabon nicht sah, hat noch nie was Schönes gesehen“, sagen die Einwohner Lissabons. Zu recht.
Ein Spaziergang.
Noch sind die kleinen Läden zu und hinter den verschlossenen Holztüren stapeln sich die kleinen Tische, die bald wieder auf den Gassen Spalier stehen werden. Hier im Bairro Alto, wo der Nomadenmann und ich uns einquartiert haben, sind die Gassen voll mit Bars & Restaurants. Über 300 sind es an der Zahl. Nicht umsonst ist dieses Viertel das „Pre-Ausgeh“-Viertel Lissabons. Ich schaue auf meinen kleinen Kugelbauch und ertappe mich bei dem Gedanken daran, mich schon wieder auf das Bett zu freuen, aus dem ich heute so schwer gekommen bin. Es ist 10 Uhr vormittags. Das mit Ausgehen wird dieses Mal wohl nichts 😉
Die wenigen nicht durch Türen verbrauchten Hauswände im Bairro Alto sind voll mit Tags. Ein Graffiti Schriftzug nach dem anderen. Dazwischen findet man auch „hochwertige“ Streetart oder Stencils, wie jenes, dass an die Nelkenrevolution 1974 erinnert.
Die Nelkenrevolution von 1974 gegen den Diktator hat ihren Namen von den Nelken, die sich aufständische Soldaten in die Gewehrläufe gesteckt haben.
So schmeckt das Paradies.
Eine kleine Schlange steht vor einem Laden in Belém. Eine Bäckerei. Zwar kein Weltkulturerbe wie das Kloster nebenan oder so imposant wie der Torre de Belém, doch genauso berühmt wie beide zusammen. Denn hier liegt die Wiege der Vanilletörtchen. Immer – auch genau jetzt – ist der perfekte Zeitpunkt für die typisch portugiesischen „Pasteís de nata“. Der dicke Verkäufer lächelt als er mir die drei gefüllten Blätterteigtörtchen in einen Karton schlichtet. Wohl weil oder trotz dem er weiß, dass sie dort nicht lange verweilen werden. Ich gedulde mich bis sich die Bäckereitür langsam hinter mir schließt, bevor ich den Karton langsam aufmache. Als ich den ersten Bissen mache, schließe ich die Augen: Zucker, Pudding und Ei – mehr braucht das Paradies nicht.
Marokko meets Portugal.
Gestärkt wandern wir weiter – es geht nach Alfama. Hier erkennt man sofort die maurischen Einflüsse: Die engen Gassen, die Torbögen und steilen Stufen erinnern mich an Marokko. Überall an den Häusern entdecke ich kleine Bildchen, Fliesen oder Poster vom heiligen Antonius, dem heiligen der Hochzeiten. Wie passend, dass er nach getaner Arbeit unsere Flitterwochen auch noch begleitet 😉 Noch immer ziehen sich die bunten Wimpelketten über die Gassen, die ebenfalls dem Heiligen der Brautpaare gewidmet sind. Und nicht nur das: Lissabon, aber vor allem Alfama, schenkt dem heiligen Antonius jeden Juni ein 4-wöchiges Fest mit Karnevalähnlichen Zuständen und natürlich ganz viel Wein.
Lustiger Fact: Möchte man, dass der heilige Antonius einem einen Wunsch erfüllt, sollte man…
… sein Bild verkehrt herum aufhängen bis sich der Wunsch erfüllt hat.
… ein Bild in den Kühlschrank stellen.
… oder wie man es in Brasilien macht: sein Bild über ein Glas Alkohol legen.
„Silệncio, que se vai cantar o Fado!“
Am Abend werden wir bereits vom Kellner vor dem Restaurant Sr. Vinho begrüßt und zu unseren Plätzen geführt. Der fensterlose Raum mit den Holzbalken an der Decke ist recht spärlich eingerichtet: Dunkle Tische, weiße Bodenfliesen, ein paar selbstgemalte Bilder und alte Schwarz-Weiß-Fotographien an den Wänden. Auf den Tischen warten bereits Gläser & Teller auf ihre Verwendung. Während wir uns bereits hungrig über das Brot hermachen, wird plötzlich das Licht gedimmt. Das Klirren der Bestecke und Gläser verstummt. Plötzlich ist es mucksmäuschenstill.
Der bisher kalte Raum wird noch kälter, als plötzlich ein warmer Klang von den Wänden zurückhallt. Das Zupfen einer Gitarre begleitet von einer zweiten, etwas helleren, Gitarre. Rhythmisch ziehen sich die Töne durch den Raum, prallen an den Holzbalken ab, hanteln sich an den Bildern entlang direkt zu unseren Tischen. Eine Frau im schwarzen Kleid betritt den Raum, mit einem schwarzen Tuch bedeckt sie ihre Schultern. Ihre schwarzen Locken umranden ihr blasses Gesicht. Langsam blickt sie an den Wänden des Raumes entlang, bleibt an einigen Fotographien hängen. Sie schließt die Augen und nimmt die Gitarrenklänge mit. Alles ist still. Bis sie langsam und zaghaft ihren Mund öffnet.
„Saudade“ nennt man das Gefühl, das im Fado ausgedrückt wird: Die portugiesische Form des Weltschmerzes. Es geht um das Gefühl, etwas Geliebtes verloren zu haben, sich nach etwas Verlorenem zu sehen und trotzdem zu wissen, dass dies nie zu einem zurückkehren wird. Traurig aber wunderschön zugleich.
Plötzlich ist dieser Raum voll. Voller Stimme, Liebe, Wehmut, Sehnsucht, Traurigkeit, Gefühl und Leere zugleich. Er klagt, er hinterfragt, er tobt, wütet, türmt sich auf und fällt wieder in sich zusammen, nur um sich dann von neuem mit vollster Kraft zu erheben. Das kann nur Fado. Das kann nur Portugal.
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