Kommt es mir nur so vor oder kommt die Decke immer näher? „Machen wir einen Ausflug!“, sage ich mehr zur Zimmerdecke als zum Nomadenmann und springe aus dem Hotelbett. Als wir noch zu zweit waren wären wir vielleicht 30 Minuten später aus dem Hotelzimmer gekommen. Mit dem Nomadenbaby gestaltet sich das Wegkommen etwas komplizierter: Wer darf zuerst ins Bad? Wer bestreitet den Anziehkampf mit dem Nomadenbaby? Wer packt den Wickelrucksack? Wer das Nomadenbaby? Und wird es heute Buggy oder Trage? Oder gar beides? Eine Stunde später und ausgerüstet als wären wir 2 Tage unterwegs fahren wir los. Fast.
Alle guten Dinge sind 3.
Buggy und Trage sind verstaut, der Nomadenbub sitzt im Kindersitz, der Nomadenmann daneben. Es könnte loggehen. Könnte. Ich drehe den Autoschlüssel und steige aufs Gas. Nichts. Der grüne Toyota Yaris macht keinen Mucks. Ich blicke in den Rückspiegel: Während der Nomadenbub in seinem viel zu großen Kindersitz versinkt, schaut mich der Nomadenmann fragend an. Ich zucke die Schultern und versuche es erneut. Wieder nichts. Statt dem Motors starte ich die negative Gedankenspirale: Ich sehe uns schon mit tausend Sachen und einem schreienden Nomadenbub in einem überfüllten albanischen Bus stehen. „Nochmal“, reißt mich der Nomadenmann aus meinen Gedanken. „Alle guten Dinge sind 3.“ Ich schließe die Augen und drehe den Schlüssel. Mit einem lauten Brummen meldet sich der Toyota zu Wort. Läuft.
Tierischer Verkehr
„Achtuuuuung!“ tönt mein menschliches Navi aus dem Off. Ich bremse, was bei 20 km/h das Auto fast zum Stillstand bringt, und blicke auf das Knäuel aus Metall vor mir. Drei Autos stehen kreuz und quer auf der Straße: Der eine will nach rechts, der andere nach links und einer ist sich wohl selbst nicht mehr sicher. Quietschend werden die staubigen Blechschüsseln wie Spielfiguren nach vor und wieder zurück gerutscht, als plötzlich ein anderes Auto mit 90 km/h im Überholverbot an dem Bleckkampf vorbeidonnert. Geistig notiere ich mir die Berechnungsformel für Geschwindigkeitsbeschränkungen hier in Albanien:
Vorgeschriebene Geschwindigkeit x 3 = albanische Geschwindigkeit
Mittlerweile hat übrigens „links“ den Kampf für sich gewonnen und das Chaos vor mir hat sich aufgelöst. „Weiter!“, sagt die zweite Reihe. Ich gebe Gas… um ein paar Meter später wieder ausgebremst zu werden. „Blöde Ziege“, schimpfe ich und ernte nur ein leises Meckern vom tierischen Fußgänger am Straßenrand. 5 Kühe, zwei Pferde, eine Entenwanderung und ein paar falsch in den Kreisverkehre einfahrende Albaner später ist mir klar, warum wir hier für lausige 20 Kilometer über eine Stunde brauchen.
So eine Sch…
„Das ist also eine Fähre.“ Ich schaue auf das floßartige Teil am Wasser auf dem zwei Autos Platz haben und welche mit einem Seil von einer zur anderen Seite gezogen werden. Schon allein beim Gedanken wird mir mulmig. „Gibt’s keinen anderen Weg da rüber?“ Ich schaue hilfesuchend in den Rückspiegel, wo der Nomadenmann das Smartphone befragt. „Nope.“, sagt er, als der Einweiser zu winken beginnt und mich auf die Fähre lotsen will. „Ok.“, murmle ich und rolle langsam über zwei lose Bretter auf „Fähre“, die uns 500 LEK kostet. Als ich den Schlüssel im Schloss drehe beginnt es plötzlich zu blubbern. Verdächtig lange. Zu lange. Und es kommt nicht von der Fähre. Als ich in den Rückspiegel schaue sehe ich wie der Nomadenmann den Nomadenbub von seinem Schoss hebt. Seine Jean hat bereits ockergelbe Flecken. Der Nomadenbub findet es nicht cool, das wir sein großes Geschäft so wenig zu schätzen wissen und beginnt lauthals zu brüllen. Während ich mit einer Hand nach hinten greife um die Wickelunterlage unter den triefenden Babypo (mit schreienden Baby dran) zu schieben, sehe ich den Einweiser im Augenwinkel bereits nervös mit den Armen wedeln. Ich greife nach dem Schlüssel und wieder… nichts. Das Spiel kennen wir schon, denke ich. Also nochmal. Nichts. Und das dritte Mal. Entschuldigend grinse ich den Einweiser an, der mittlerweile genauso ungeduldig ist wie das eingesaute und schreiende Nomadenbaby. Doch: Nichts. Mich unter gefühlten 1000 Dezibel entschuldigend, öffne ich die Türe und stammle: „Sorry, the car… I don’t know…“ Der junge Mann im Muskelshirt verweist mich genervt des Fahrersitzes und steigt ein. Der Nomadenbub hat unterdessen eine Schrei-Pause eingelegt und fragt sich, warum seine Mutter nun untätig vor dem Auto steht. Der junge Mann dreht am Lichtschalter, zieht den Schlüssel ab, steckt ihn wieder ins Zündschloss, dreht ihn und der Toyota beginnt zu ohne Murren zu Schnurren. Ich lächle schwach, frage mich was von seinen magischen Griffen jetzt der Grund für den Erfolg war und bedanke mich für die Starthilfe. Zu schade, dass der junge Mann das Auto nicht gleich selbst von der Fähre fährt und das nun Mama wieder ans Steuer muss, findet der Nomadenbub und beginnt gleich wieder zu raunzen. Als wir wieder sicheren Boden unter den Füßen haben atme ich laut aus. „So eine Scheiße.“, murmle ich. „Wortwörtlich!“, ergänzt der angeschissene Nomadenmann.
Alte Steine.
Nach 30 Minuten Parkplatzsuche, dreimal umgeparkt werden um schließlich in 2. Reihe zu parken und einer Auto-Wickel-Aktion wollen wir nun endlich sehen, weshalb wir heute Morgen das Hotel überhaupt erst verlassen haben: Butrint und seine Ruinen. Die alten, steinigen Überbleibsel der Geschichte sind UNESCO Weltkulturerbe und geben einen spannenden Einblick in die damalige Zeit. Während der Nomadenbub in der Trage schläft erkunden wir also das alte Amphitheater, die Wohnhäuser und Kirchen der alten Ruinenstadt, in denen sogar noch alte Bodenmosaike zu sehen sind und sehen den Wasserschildkröten zu, die die alten Mauerteile zur Badewanne umfunktioniert haben. Mit dem ersten Mucks des Nomadenbabys sind wir wieder im Auto.
Und nehmen diesmal den Weg ohne Fähre 😉
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